10.04.2024 | Tour de Suisse der Wasserkraft - Aarekraftwerk Klingnau AG
Seit 89 Jahren produziert das Aarekraftwerk Klingnau rund um die Uhr Strom. Der Klingnauer Stausee entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Naturparadies, gilt heute als Brut-, Rast- und Überwinterungsplatz seltener Vogelarten und ist mittlerweile offizielles, internationales Wasser- und Zugvogelschutzgebiet.
Das Gezwitscher ist allgegenwärtig. In den Bäumen und Sträuchern rund um das Aarekraftwerk Klingnau verkünden verschiedenste Vogelarten lauthals ihre Frühlingsgefühle. Betriebsleiter André Kaufmann zückt den Schlüssel zu einem separaten Gelände, das südlich des Zufahrtsdamms zum Kraftwerksareal liegt. «Abgeriegelt ist dieses Areal darum, um den Vögeln, Amphibien und anderen Kleintieren einen Rückzugsort zu bieten.»
Der Blick fällt auf einen Hügel aus kompaktem Spezialsand so hoch wie ein Reisebus, einer überdimensionierten Sandburg nicht unähnlich. «Im Frühling vor der Nistzeit stechen wir an der Front des Hügels jeweils ein Stück ab», erklärt André Kaufmann. «Mit der wieder sauberen, senkrechten Wand wollen wir Uferschwalben anlocken.» Noch konnte der Kraftwerksleiter keine Nistlöcher entdecken. Kathrin Hochuli, Co-Geschäftsleiterin von BirdLife Aargau, dem Verband der Aargauischen Natur- und Vogelschutzvereine erklärt: «Uferschwalben nisten am liebsten an Prallhängen unkorrigierter Gewässer. Auch im Auengebiet Rietheim hat es ein paar Jahre gedauert, bis sie den extra präparierten Hügel als Nistplatz akzeptierten.» Die Vogelschützerin sieht deshalb mittelfristig gute Chancen auf einen Bruterfolg auf dem geschützten Kraftwerksareal.
Rückwirkend ab 2015 erhielt die Betreibergesellschaft Aarekraftwerk Klingnau AG (Axpo 60%, AEW 40%) im Sommer 2018 die Konzession für weitere 60 Jahre Stromproduktion. Im Juli 1935, vier Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, war das Wasserkraftwerk mit einer installierten Leistung von 42,9 MW in Betrieb gegangen. Seit bald 90 Jahren produzieren dieselben Kaplan-Turbinen der drei Maschinengruppen rund um die Uhr durchschnittlich 210 Millionen Kilowattstunden (kWh) CO2-freien Strom pro Jahr, mit dem umgerechnet 50'000 Vierpersonenhaushalte versorgt werden können.
Das Stauwehr, über das ein Veloweg führt, besitzt vier Öffnungen. «Selbst bei grösstem Hochwasser kann das Wasser problemlos über drei Öffnungen abgeführt werden», sagt André Kaufmann und steigt drei Etagen zur oberen Wehrbrücke hoch, die nicht öffentlich zugänglich ist. Der exklusive Panoramablick auf den Klingnauer Stausee ist atemberaubend. Unter den Füssen, gut sichtbar durch die grossen Ritzen der alten Holzlatten, stürzt das Wasser tosend in die Tiefe und fliesst in Richtung Rhein ab. In der mit 140 Metern beeindruckend langen Halle zeigt sich noch echtes Schmiedewerk. «Die Windwerke der Wehröffnungen sind original. Wir bedienen sie jeweils einzeln ferngesteuert aus dem Maschinenhaus. Falls nötig, könnten wir aber auch noch von Hand kurbeln.»
Wie bei Konzessionsverfahren üblich, verpflichteten sich die Kraftwerksbetreiber zu verschiedenen ökologischen Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen. Vogelschützerin Kathrin Hochuli hat die Planung und Umsetzung der Massnahmen seit der ersten gemeinsamen Sitzung der Begleitgruppe 2013 begleitet. «Bislang gab es 14 Sitzungen. Uns ging es stets darum, Herausforderungen pragmatisch anzugehen und den Massnahmen zum Erfolg zu verhelfen.» Neben BirdLife waren in der Begleitgruppe auch Vertreter von Fischerei- und Wassersportvereinen, der Anrainergemeinden und weitere Stakeholder vertreten.
Zu den insgesamt neun Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen gehörten insbesondere der Bau eines neuen Nebengerinnes unterhalb des Wasserkraftwerks Beznau, ein zusätzlicher Sickergraben sowie die Vitalisierung der Sickergräben und des Leuggernbachs. Zuletzt wurde der Abschnitt zwischen dem Kraftwerk Klingnau und der Rheinmündung durch eine neue Uferstruktur aufgewertet. Im Abstand von rund 50 Metern entstanden neun grosse Buchten mit Blocksteinbuhnen, damit sich Vögel ungestört und wassernah absetzen können.
Uferinstandhaltung ist grosses Thema bei den Kraftwerksbetreibern. Vier Mitarbeitende unterhalten das Ufer stromaufwärts bis zum sogenannten Wasserschloss, dem Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat, und stromabwärts bis knapp vor die Rheinmündung. Für den Betrieb und die Instandhaltung der Wasserkraftwerke Beznau und Klingnau sowie des Kleinwasserkraftwerks Stroppel bei Untersiggenthal sind insgesamt 24 Mitarbeitende zuständig.
Auch das Entsorgen des Abfalls, der im Kraftwerksrechen hängen bleibt, gehört zu den konzessionsbedingten Unterhaltsarbeiten. «Wer dabei etwa nur an Treibholz denkt, verkennt die Zunahme der Haushaltabfälle im Aarewasser», betont André Kaufmann. «Mit unserer Aufgabe leisten wir einen direkten Beitrag an die Reinigung des Flusswassers.» Die Zahl der gefüllten Abfallmulden hat in den letzten Jahren stets zugenommen und in den Corona-Jahren seinen Höhepunkt erreicht. «Es geht manchmal vergessen, dass die Kraftwerksbetreiber diese Entsorgungskosten vollumfänglich selber tragen.»
Entgegen des ursprünglichen Zeitplans ist die Umsetzung der Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen noch nicht ganz abgeschlossen. «Noch fehlt das Ausbaggern einer verlandeten Fläche von rund 8000 Quadratmetern als neuer Lebensraum für Wasser- und Watvögel», sagt die Co-Geschäftsleiterin von BirdLife, Kathrin Hochuli. Am Willen der Kraftwerksbetreiber fehlt es indessen nicht. André Kaufmann: «Wir arbeiten hier eng mit dem Kanton Aargau zusammen und nutzen Synergien.» In einem separaten Projekt will der Kanton Aargau der zunehmenden Verlandung des Klingnauer Stausees durch Sand und Geschiebe Herr werden. Die Arbeiten sollen 2024 gemeinsam vorangetrieben werden.
Weniger den Vögeln als den von weit her anreisenden Vogelinteressierten nützen die drei extra erstellten Beobachtungsplattformen, die ebenfalls zu den Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen zählen. Kathrin Hochuli: «Sie ergänzen das Angebot unseres BirdLife-Naturzentrum Klingnauer Stausee. Wir freuen uns über das Interesse und die steigenden Besucherzahlen.»
Einer der umgesetzten Massnahmen, der Bruthilfe für Flussseeschwalben, war indessen kein Erfolg beschieden. Dabei handelte es sich um ein Floss mit speziellem Brutschutzdach, das vom letztjährigen Hochwasser zerstört wurde. Ornithologen forschen seither an einer neuen mobilen Lösung, um dieser Ausgleichsmassnahme doch noch zu einem guten Ende zu verhelfen.
André Kaufmann zeigt auf die Freiluftschaltanlage, die direkt hinter dem Maschinenhaus liegt. «Aktuell wird die Schaltanlage mit ihren Abgangsfeldern in ein neu gebautes Containergebäude verlegt.» Das ist sicherer für die Vögel und Betreiber. «Vor allem grosse Tiere können durch ihren Flügelschlag einen Kurzschluss verursachen.» Das würde für den Vogel tödlich enden, und für die regionale Bevölkerung besteht das Risiko eines Stromausfalls. «Ist der Umbau beendet, werden wir die Freiluftschaltanlage komplett zurückbauen.» Dies hat einen weiteren Vorteil: «Danach werden wir den öffentlichen Weg auf die andere Seite des Maschinenhauses verlegen, was für alle Beteiligten sicherer ist.»
Der Biber ist am Klingnauer Stausee allgegenwärtig. Entsprechend zeitintensiv gestalten sich der Dammunterhalt und die Instandhaltung der Uferbefestigungen. Für den jährlichen Fischaufstieg zum Laichen gibt es seitlich des Stauwehrs eine Fischtreppe. Indessen liess Mitte März 2024 eine Verfügung des Aargauer kantonalen Departments Bau, Verkehr und Umwelt BVU aufhorchen. Um die Ausbreitung der invasiven Fischart Schwarzmeergrundel zu stoppen, liessen die Kantonalbehörden den Fischaufstieg mindestens für ein Jahr ausser Betrieb nehmen. Ziel ist es, den Fischlaich fressenden Eindringling aufzuhalten, bevor sich dieser in Richtung Aare, Reuss und Limmat stromaufwärts bewegt. «Unserer letzten Aarestaustufe kommt in diesem Fall offenbar eine wichtige Schutzrolle zu», erklärt der Betriebsleiter. Eine neue Fischtreppe soll mit einer Wandersperre gegen Grundeln ausgestattet sein. «Bis 2026 können wir auch zu diesem Thema eine Lösung bieten», sagt André Kaufmann. «Egal ob Vogel, Fisch oder Biber - aus unserer Konzessionsaufgabe haben wir mit unserem Team eine Herzensangelegenheit gemacht.»
Betreibergesellschaft: |
Aarekraftwerk Klingnau AG (Axpo 60%, AEW 40%) |
Installierte Leistung: |
42,9 MW |
Turbinen: |
3 Kaplan-Turbinen à ja 14,3 MW |
Mittlere Jahresproduktion: |
210 Mio. kWh |
Mittlerer Durchfluss: |
650 m3/s |
Inbetriebnahme: |
7.7.1935 |
Kote Seespiegel: |
318,4 m ü. M. |
Fläche des Stausees: |
1,5 km2 |
Seelänge: |
ca. 3 km |
Max. Seebreite: |
450 m |
Dieser Artikel ist Teil der Serie «Tour de Suisse der Wasserkraft». Bisher erschienen sind:
Misoxer Wasser stabilisiert das Stromnetz
Kraftwerk Rüchlig – modernes Understatement mitten in Aarau
Wasserstoff aus dem Rhein: Ein Puzzleteil der Schweizer Energiezukunft