• 27.09.2024 | Notwendigen Netzausbau nicht gefährden

    Keine Experimente mit dem WACC

    Auf politischen Druck hin möchte der Bundesrat die Höhe der regulatorischen Verzinsung der Stromnetze (WACC) durch eine Methodenanpassung reduzieren. Die Energiekosten der Verbraucher würden damit kaum gesenkt, gleichzeitig entstehen Risiken für den Erhalt- und Ausbau der Stromnetze. Eine Einschätzung.

    Bereits seit einigen Jahren werden Forderungen laut, die regulatorische Verzinsung der Netze (WACC) zu senken, um damit die Verbraucher zu entlasten. In 2021 hatte der Bundesrat die Methodik des WACC einer umfassenden Prüfung unterzogen, aber letztlich von einer Anpassung abgesehen. Mit dem teilweise massiven Anstieg der Strompreise in der Energiekrise 2021/2022 sind die Forderung wieder lauter geworden. Mitte Juni 2024 hat der Bundesrat nun den Entwurf für einen Methodenwechsel durch Anpassung der Stromversorgungsverordnung in die Vernehmlassung gegeben, welche Anfang Oktober endet.

    Was ist der WACC?

    Das Stromnetz ist ein natürliches Monopol, schliesslich wäre der parallele Betrieb von Stromnetzen sehr ineffizient. Aufgrund dieser Monopolstellung wird das Netz stark reguliert, beispielsweise hinsichtlich des diskriminierungsfreien Zugangs, aber insbesondere auch bei der Festsetzung der Netztarife. In der Schweiz herrscht eine sogenannte kostenbasierte Regulierung («Cost-plus»): Die Netzbetreiber weisen gegenüber der ElCom jährlich ihre Gesamtkosten aus, welche sie dann in die Netztarife einrechnen und damit an die Verbraucher weitergegeben können. Neben den Betriebskosten dürfen die Netzbetreiber auch Kapitalkosten in die Tarife einrechnen. Hier kommt der regulatorischen WACC (Weighted average cost of capital) ins Spiel, der die Höhe der anrechenbaren Kapitalkosten vorgibt. Mit dem WACC werden also die Kosten für das Fremdkapital gedeckt sowie eine angemessene Rendite resp. Gewinne für die Eigenkapitalgeber gewährleistet. Die zugrundeliegende Berechnungsmethodik setzt der Bundesrat per Verordnung fest. Die Inputs des Modells und die damit berechnete Höhe des WACCs werden jährlich aktualisiert.

    Die WACC-Formel berechnet, vereinfacht gesagt, eine Fremkapitalverzinsung und eine Eigenkapitalrendite, welche sie dann mit einer vorgegebenen Zusammensetzung von Fremd- und Eigenkapital gewichtet. Zur Bestimmung der Eigenkapitalrendite wird die erwartete Marktrendite für das Risiko der Verteilnetzbetreiber im Vergleich zum Gesamtmarkt durch den sog. Beta-Faktor korrigiert.

    Der Vorschlag des Bundesrates

    Der Bundesrat schlägt gemäss Vernehmlassung einen Wechsel der seit langem angewandten Berechnungsmethode vor. Dabei soll der WACC weiterhin als Kombination eines risikolosen Zinssatzes und einer Eigenkapitalrendite gebildet werden. Während die bestehende Methode aber durch Ober- und Untergrenze des risikolosen Zinssatzes zusätzliche Stabilität schafft, sollen diese bei der neuen Methode wegfallen. Eine gewisse stabilisierende Wirkung soll sich dafür durch das angepasste Zusammenspiel der Parameter entfalten.

    Unsicherheit durch Methodenanpassung

    Die bisherige Methode hat den klaren Vorteil, dass sie sich seit vielen Jahren in der Praxis bewährt und die notwendige Investitionssicherheit geschaffen hat. Bei den Stromnetzen ist im Vergleich zu anderen Investitionen die Abschreibedauer sehr lang - Investitionen sind 60 Jahre oder mehr gebunden - folglich braucht es auch eine besonders stabile Verzinsung des Kapitals. Die Untergrenzen haben dabei mitgeholfen, auch in Tiefzinsphasen die Investitionsanreize zu erhalten. In anderen Ländern, deren Methodiken keine solchen Untergrenzen kennen, musste der WACC durch regulatorische Noteingriffe künstlich gestützt werden.

    Vom VSE beauftragtes Gutachten

    Handkehrum gibt es aber nicht nur Untergrenzen, sondern auch Obergrenzen, welche den WACC in aussergewöhnlichen Hochzinsphasen dämpfen würden.

    Die Umstellung auf eine neue Methodik würde für Investoren hingegen zu Unsicherheiten führen. Die Auswirkung der Anpassung wäre je nach Marktentwicklung sehr unterschiedlich. Tendenziell würde aber der WACC insbesondere in Tiefzinsphasen deutlich gesenkt werden, was die Kapitalaufnahme für den Netzausbau in diesen Zeiten erschwert.

    Anpassung Vergleichsgruppe nicht zweckmässig

    Der im aktuellen Umfeld grösste Effekt auf die Höhe des WACCs würde aber nicht durch den Methodenwechsel selbst, sondern eine gleichzeitige Reduktion des  Beta-Faktors entstehen. Der Beta-Faktor bestimmt massgeblich die Höhe der anrechenbaren Eigenkapitalrendite (vgl. oben). Für die Schätzung des Beta-Faktors wird jeweils eine Vergleichsgruppe herangezogen. Diese soll nun auf – nur noch fünf – ausländische Übertragungsnetzbetreiber beschränkt werden, anstatt wie bisher auch Verteilnetzbetreiberinnen berücksichtigen. Zudem soll der so geschätzte Beta-Faktor nicht mehr hinsichtlich Schätzunsicherheit korrigiert werden.

    Das künstliche Absenken des Beta-Faktor entstammt der Argumentation, dass die Risiken der Schweizer Netzbetreiber im Vergleich zu ausländischen Netzbetreibern viel tiefer seien. Obwohl die Regulierungssysteme in den Nachbarländern zwar teilweise konzeptionelle Unterschiede aufweisen (sog. Anreiz- statt Kostenregulierung), so ist die entsprechende Umsetzung oft inhaltlich sehr nahe am Schweizer System. Zudem bestehen für einheimische Netzbetreiber trotz Kostenregulierung verschiedene Risiken, beispielsweise dass gewisse Kosten nachträglich als nicht anrechenbar festgelegt oder für sie verlustbringende regulatorische Bewertungen vorgenommen werden. Eine Verkleinerung der Vergleichsgruppe und die Umstellung auf den unkorrigierten Beta-Faktor führen zuletzt generell zu einer weniger robusten Schätzung des Beta-Faktors.

    Kaum Entlastung für die Konsumenten

    Die Anpassungen würden gemäss Bundesrat den WACC im aktuellen Umfeld um rund 0.57 Prozentpunkte senken (von 3.98% auf 3.41%). Diese für die Netzbetreiber massive Absenkung würde die Kapitalaufnahme inkl. Bildung von entsprechendem Eigenkapital massgeblich erschweren. Umgekehrt dürfte die Hoffnung, damit die Stromkosten der Verbraucher relevant zu senken, aber enttäuscht werden. Diese Senkung würde gemäss Berechnungen des Bundes die Stromtarife um gerade mal 0.22 Rp./kWh senken, was bei einem Gesamtstromtarif von 29 Rp./kWh (Median Haushalte in 2025) weniger als 1% (Im Detail: 0.22 Rp. / 29 Rp. = 0.76%) ausmacht. Mit Blick auf den Netztarif sind es immer noch weniger als 2%. Damit ist die Anpassung keine Lösung gegen die im Zuge der Energiekrise substanziell angestiegenen Stromtarife – bei gleichzeitig entsprechenden Risiken für den Netzausbau.

    Kollateralschaden für Erneuerbare

    Die Änderungen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Netztarife. Zur Bestimmung der Höhe der Förderung erneuerbarer Energien werden ebenfalls WACC-Sätze berechnet, welche sich direkt auf die Methodik des Netz-WACC stützen. Durch die vorgeschlagene Methodenänderung würden in Tiefzinsphasen auch die Förderbeiträge für erneuerbare Energien reduziert. Dies macht Investitionen insbesondere dann unattraktiv, wenn erwartet wird, dass das Zinsniveau bei einer späteren Refinanzierung der Investitionskosten massgeblich über dem Niveau zum Zeitpunkt der Fördervergabe liegt.

    Ein ungünstiger Zeitpunkt für Experimente

    Das Volk hat am 9. Juni das Stromgesetz angenommen, das den massiven Ausbau erneuerbarer Energien, insb. Solaranlagen vorsieht. Dieser Ausbau wird für die Netzbetreiber eine grosse Herausforderung darstellen, so könnte sich bei Erreichung der Ausbauziele die Spitzenbelastung im Netz in den nächsten 10 Jahren rund verdreifachen. Selbst mit Gegenmassnahmen (wie z.B. Abregelung von Spitzenleistungen der Solaranlagen, besserer Nutzung von Verbrauchsflexibilität) würde dies substanziellen Netzausbau und -verstärkung notwendig machen. Mit Blick auf diese Investitionen und den damit verbundenen hohen Kapitalbedarf ist die geplante Anpassung der WACC-Methodik und die dadurch ausgelöste Unsicherheit unverständlich.

    Mit dem Abklingen der Energiekrise sind die Marktpreise und die Kosten der Verbraucher zudem bereits wieder gesunken und werden tendenziell weiter sinken. Um zukünftig solche Preisausschläge für Endverbraucher zu verhindern, verpflichtet das Stromgesetz die Energieversorger, sich bei der Beschaffung für die Grundversorgung besser gegen Preissprünge abzusichern. Möchte man Kleinverbraucher weiter entlasten, so ist das beste Mittel die vollständige Marktöffnung, mit der sie sich für den günstigsten Stromlieferanten entscheiden können, anstatt an den lokalen Lieferanten gebunden zu sein. Eine Senkung des WACC stellt hingegen weder eine wirksame noch nachhaltige Reaktion auf die Energiekrise dar. Im Gegenteil, für zukünftig günstigen Strom braucht es einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien. Und dieser wird nur mit starken Stromnetzen gelingen.

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