• 01.11.2024 | Misox: Die Unwetterfolgen sind heute noch spürbar – auch bei den Axpo Kraftwerken

    «Es ging alles so schnell»

    Am 21. Juni traf ein Unwetter das Bündner Südtal Misox schwer. Betroffen waren auch die sechs Kraftwerke der Axpo. Noch sind nicht alle wieder in Betrieb gegangen. 

    Die Unwetter des vergangenen Sommers haben auch das Wallis und die dortigen Axpo Kraftwerke hart getroffen:  

    Walter Zala, stellvertretender Leiter der Kraftwerksgruppe Misox, kann es auch heute, rund drei Monate später, kaum fassen: «80 Liter Regen pro Quadratmeter in zwei Stunden, 120 Liter im ganzen Tag, unglaublich». Das Unwetter, das am 21. Juni 2024 über das Graubündner Südtal Misox hereinbrach, war aussergewöhnlich. Und schlimmer noch: es war in diesem Ausmass nicht vorauszusehen. «Normalerweise erhalten wir Warnungen, wenn schwere Unwetter drohen», sagt er. Vor diesem Tag aber gab es keine speziellen Wetteralarme. Dabei waren die Folgen katastrophal: drei Todesopfer, komplett weggespülte oder beschädigte Häuser, Teile der Autobahn A13 zerstört – und die Axpo Kraftwerke wurden teilweise schwer beschädigt und mussten abgestellt werden. 

    «Die Anlagen waren aber immer in einem sicheren Zustand» - das war laut Walter Zala eine der wenigen guten Nachrichten in diesen schweren Tagen. Denn teilweise waren die Schäden enorm – und einige sind bis heute nicht behoben. «Die grösste Herausforderung war es, einen ersten Überblick über alle Schäden zu bekommen, es ging alles so schnell». Zudem fielen die Mobilfunknetze zeitweise aus, was die Kommunikation zwischen den Mitarbeitenden enorm erschwerte. Die Armee stellte zwar rasch Helikopter für die Notfallteams zur Verfügung. «Ein genaues Bild bekamen wir aber erst im Laufe des nächsten Tages». 

    Von den sechs Kraftwerken der Axpo im Misox hat es die Anlagen der ELIN (Elettricità Industriale SA) am schwersten getroffen: Die Zentrale in Grono steht seit dem 21. Juni still und das wird sich nicht so schnell ändern. Der Grund: Das Gewitter hat Unmengen von Sediment und Geröll in den Roggiasca-Stausee gespült. Daraufhin gelangte viel Schlamm in den rund drei Kilometer langen Stollen zur Druckleitung, die das Wasser in die Zentrale Grono führt. Die Folge: Eine zähe, rund einen halben Meter hohe Schlammschicht verstopft noch immer einen Grossteil des Stollens. Seit Juli sind Arbeiter daran, den Schlamm wegzuschaffen (mehr dazum im TV-Beitrag von RSI). Eine mühselige Kleinarbeit. Der Stollen ist kaum höher als zwei Meter und auch nicht viel breiter. Mit einem Kleinbagger muss der Schlamm Schäufelchen um Schäufelchen abgetragen werden. «Wir kommen rund 15 Meter pro Tag voran». Seit Juli sind rund 400 Meter vom Schlamm befreit. Man kann sich leicht ausrechnen: Bis zur vollständigen Räumung wird es noch viele Monate dauern. Hinzu kommt: Fünf Wasserfassungen der ELIN wurden verschüttet und teilweise zerstört. Auch hier wird es dauern, bis sie wieder vollständig in Betrieb genommen werden können. 

    Glimpflicher kamen die Anlagen der OIM (Officine Idroelettriche di Mesolcina SA), davon. Das Unwetter beschädigte zwei Wasserfassungen, die mittlerweile wieder in Betrieb sind. Zudem verschoben Wasser, Schlamm und Geröll eine Druckleitung beim Kraftwerk Lostallo, was für einen rund fünfwöchigen Betriebsunterbruch sorgte. Weitgehend verschont blieben glücklicherweise die Kraftwerke der Calancasca SA, die nach einigen Tagen Unterbruch wieder Strom produzieren konnten. In Mitleidenschaft gezogen wurden weiter die zwei Kleinkraftwerke Tecnicama und Ogreda, wobei Letzteres immer noch stillsteht.

    Was das alles kostet? «Schwierig zu sagen, wir wissen ja noch nicht genau, wie lange der Produktionsausfall bei der ELIN dauern wird», sagt Walter Zala Die kumulierten Kosten für die Instandhaltung und die Produktionsausfälle dürften aber in die Millionen gehen. Immerhin sind die Instandstellungsarbeiten bis auf einen Selbstbehalt durch die Versicherung mehrheitlich gedeckt. Die Produktionsausfälle aber muss Axpo zum grössten Teil selbst tragen.

    Soweit die materiellen Auswirkungen. Schwerwiegender sind wohl die menschlichen und emotionalen Folgen des Unwetters. Viele kennen sich im Graubündner Südtal. Entsprechend tief sitzen immer noch Schock und Trauer über das Erlebte. Und es gibt Geschichten, die man nicht so schnell vergisst. Etwa jene von Aurelio Troger, technischer Mitarbeiter im Kommandoraum der Zentrale Soazza, der unversehens zum Retter von Menschenleben wurde (vgl. Video-Statement): «Ich hatte am Freitagabend eigentlich schon Feierabend, aber ich spürte, dass etwas nicht stimmte», erzählt er. «Draussen war es extrem laut, überall hörte man fallendes Geröll und rauschendes Wasser». So entschied er sich, im Kommandoraum zu bleiben. Zum Glück – denn wenige Minuten später bekam er einen Anruf aus einer benachbarten Wohnsiedlung. Ein Murgang hatte die elf Bewohner überrascht und sie konnten sich nicht selbst aus der Gefahrenzone befreien. So war es Aurelio, der die stark unter Schock stehenden Menschen aus den beschädigten Häusern rettete und sie in der Zentrale Soazza in Sicherheit brachte. «Zum Glück war es noch hell», blickt er zurück, «in der Nacht wäre die Bergung unmöglich gewesen.»

    Immerhin: Es gab auch positive Momente in diesen belasteten Tagen. «Das Unwetter hat uns als Team noch mehr zusammengeschweisst», ist Walter Zala überzeugt. «Alle haben sich sofort gemeldet, alle wollten helfen, alle packten mit an und einige kamen sogar aus den Ferien zurück». Und auch aus dem Axpo Hauptsitz in Baden kam wertvoller Support, etwa von Hans-Peter Zehnder, dem Leiter Hydraulische Produktion bei Axpo. Walter Zala: «Ich bin ihm persönlich sehr dankbar, denn er war in diesen heiklen Momenten immer für uns da und hat uns voll unterstützt».

    Jetzt, rund drei Monate danach, ist es Zeit, auch wieder nach vorne zu schauen. Was bedeutet es für Axpo als Kraftwerkbetreiberin, wenn Unwetter häufiger und intensiver werden? Sollten die Kraftwerke bei jedem Gewitter vorsorglich abgeschaltet werden? «Nein, das würde zu erheblichen Produktionsausfällen führen und würde die Versorgungssicherheit beeinträchtigen», sagt Walter Zala. «Aber wir brauchen noch genauere Wetterprognosen, um im Notfall rechtzeitig reagieren zu können». Er denkt zudem an technische Lösungen. Etwa an Systeme, die konstant die Wassertrübung messen und bei Überschreitung von Grenzwerten die Anlagen automatisch ausser Betrieb nehmen. Entscheidend bleiben aber die Mitarbeitenden vor Ort: «Sie haben einen entscheidenden Beitrag geleistet, um die Folgen des Unwetters so gering wie möglich zu halten und das wird auch in Zukunft so bleiben».  

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