• 27.09.2024 | EU-Energie- und Klimapolitik: 2024–2029

    Hält das Green Deal Team die EU auf Kurs zur Klimaneutralität im Jahr 2050?

    Am 17. September stellte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die 27 Kandidaten für die nächste Europäische Kommission vor: „Leyen II“ – die von 2024 bis 2029 im Amt sein wird. Der Energiekommissar, der Klimakommissar und der Vizepräsident für die «saubere Transformation» sind die Schlüsselpositionen für die zukünftige europäische Energiepolitik. Die einzelnen Kandidaten müssen sich nun den Fragen des Europäischen Parlament stellen; anschliessend können das Europäische Parlament und der Rat die 27 EU-Kommissare und die Präsidentin als Ganzes bestätigen.

    Am 18. Juli 2024 bestätigte das Europäische Parlament Ursula von der Leyen in geheimer Wahl als Präsidentin der Europäischen Kommission: Sie erhielt 401 Ja-Stimmen. Dies wird ihre zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin sein (Leyen II), nachdem sie erstmals im Juli 2019 vom Europäischen Parlament gewählt wurde (Leyen I). Am Morgen desselben Tages hatte von der Leyen ihre 31 Seiten umfassenden politischen Leitlinien für die Legislaturperiode von 2024 bis 2029 veröffentlicht. Im Mittelpunkt ihrer Hauptinitiative, dem sogenannten „Clean Industrial Deal“, der die Dekarbonisierung und das industrielle Wachstum vorantreiben soll, steht die Energie- und Klimapolitik.

    Politische Leitlinien 2024–2029

    In ihren Politischen Leitlinien für die Jahre 2024 bis 2029 beschreibt Ursula von der Leyen die Kernpunkte des „Clean Industrial Deal“. Ausgehend von der Annahme, dass die EU ihre Emissionen reduzieren konnte, ohne das Wirtschaftswachstum zu schwächen, bekräftigen die Leitlinien das Ziel der EU, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen (European Green Deal). Zu diesem Zweck wird sich die Europäische Kommission auf die Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens für 2030 konzentrieren: Für die Energiebranche geht es dabei hauptsächlich um die Umsetzung des sogenannten Fit-for-55-Pakets. Die Herausforderung besteht darin, dass die meisten der etwa zwanzig Elemente des Fit-for-55-Pakets für ihre Umsetzung noch einer Vielzahl von Verwaltungsvorschriften bedürfen: Diese müssen erst noch geschrieben und verabschiedet werden. Ein wichtiges Beispiel ist das überarbeitete EU-Emissionshandelssystem (EU ETS), das noch einer Vielzahl solcher Durchführungsrechtsakten bedarf, um zur Anwendung zu gelangen. Darüber hinaus enthalten alle Elemente des Fit-for-55-Pakets Revisionsklauseln, die in der kommenden Legislativperiode weitere Gesetzgebungsverfahren auslösen werden.

    © Axpo; die Jahreszahlen in weisser Schrift auf rotem Grund zeigen das Jahr der geplanten Revision an. „Climate target 2040“ und die „Energy Taxation Directive“ wurden noch nicht verabschiedet.
    Clean Industrial Deal

    Das Kernelement von Leyen II ist laut den politischen Leitlinien der sogenannte neue Clean Industrial Deal für mehr Wettbewerb und bessere Arbeitsplätze. Er soll in den ersten 100 Tagen nach Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission veröffentlicht werden. Dies könnte frühestens im Februar 2025 der Fall sein. Der Clean Industrial Deal soll die Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen die Klimaziele der EU erreichen können. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören z. B. die Vereinfachung von Investitionen und die Sicherstellung des Zugangs zu preiswerter, nachhaltiger und sicherer Energie und Rohstoffen. Im Frühjahr wird die Europäische Kommission auch ihren Gesetzesvorschlag für ein 90-prozentiges Emissionsreduktionsziel für 2040 veröffentlichen, das im bestehenden EU-Klimagesetz verankert werden soll.

    Um die verbleibende industrielle Basis der EU zu schützen, wird der Clean Industrial Deal einen Gesetzesvorschlag namens Industrial Decarbonisation Accelerator Act enthalten, der die Industrie bei der Energie- und Klimawende finanziell unterstützt. Das Gesetz soll Investitionen in Infrastruktur und Industrie fördern, Leitmärkte für die Entwicklung, Produktion und Verbreitung von sauberen Technologien in der gesamten EU-Industrie schaffen und Planungs-, Ausschreibungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. 

    Günstige Energie für Unternehmen und Haushalte

    Um die Energiepreise weiter zu senken, sehen die Politischen Leitlinien auch eine (weitere) Reform des EU-Energiemarktes vor. Ursula von der Leyen lässt ihre Forderung, die sie im Frühjahr 2022 - vor dem Hintergrund der Energiepreiskrise - im Europäischen Parlament erhoben hat, wieder aufleben: Laut den Politischen Leitlinien profitieren die Verbraucher nicht ausreichend von preiswerter, grüner Energie. Neben einem überarbeiteten Marktdesign sollte die EU aus der fossilen Energie aussteigen und die sogenannte Energieunion vollenden. Darüber hinaus sollen Investitionen in erneuerbare Energien und kohlenstoffarme Technologien, Netzinfrastruktur, Speicherkapazität und Transportinfrastruktur für aus- und abgeschiedenes CO2 gefördert werden. Die EU wird laut den politischen Leitlinien auch in Energieeffizienzmassnahmen, die Digitalisierung des Energiesystems und den Aufbau eines Wasserstoffnetzes investieren. Ein weiteres Mantra ist die Nutzung der Marktmacht der EU zur Verbesserung der Versorgungssicherheit: Bestehende Plattformen zur Nachfragebündelung (z. B. AggregateEU für Erdgas) sollen auf Wasserstoff und kritische Rohstoffe ausgeweitet werden. Mit Blick auf die für die sauberen Energietechnologien benötigten, kritischen Rohstoffe soll eine neue Handelspolitik (Clean Trade and Investment Partnerships) dazu beitragen, die Versorgung mit Rohstoffen, sauberer Energie und sauberer Technologie aus der ganzen Welt zu sichern. Laut den Politischen Leitlinien wird die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 ein breites Spektrum innovativer Technologien erfordern, einschliesslich Technologien für die Mobilität. In Bezug auf das Klimaneutralitätsziel für Personenkraftwagen bis 2035, sollen E-Kraftstoffe eine Rolle spielen. Hierfür sollen entsprechende Gesetzesänderungen unternommen werden.

    Draghi-Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU

    Am 9. September 2024 veröffentlichte der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi seinen lang erwarteten Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU. Der Bericht wurde in Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Experten und den Dienststellen der Europäischen Kommission verfasst. Der Bericht zeigt sich alarmiert hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung der EU und vergleicht diese mit dem stärkeren Wachstum der US-Wirtschaft. Der Bericht ist nicht rechtsverbindlich, wird aber der neuen Europäischen Kommission als Grundlage für Gesetzesvorschlägen dienen.

    Der Bericht beschäftigt sich wesentlich mit der Energiepolitik der EU: Die infolge externer Schocks - Ukrainekrieg und der Abkehr von russischem Erdgas - stark gestiegenen Energiepreise untergraben die Wettbewerbsfähigkeit Europas, insbesondere die der energieintensiven Industrien, und senken das BIP.

    Darüber hinaus fordert der Bericht mehr saubere Energie mit niedrigen Grenzkosten, wie z. B. erneuerbare Energien und Kernkraft. Diese preiswerte Energie soll zugleich die Abhängigkeit der EU von importierten fossilen Brennstoffen mindern. Der Bericht spricht sich für eine Ausweitung von Stromabnahmeverträgen (PPAs) und bilateralen Differenzverträgen (CfDs) aus, um die Volatilität der Energiepreise zu verringern und Investitionen in erneuerbare Infrastrukturen zu fördern. Leider greift der Bericht Ideen aus den Politischen Leitlinien von der Leyens auf, nach denen es einer Reform des Strommarktdesigns bedarf, um die Strompreise von den Preisen für fossile Brennstoffe und insbesondere Erdgas zu entkoppeln.

    Im Hinblick auf den Energiehandel fordert der Draghi Bericht strengere Regeln und mehr Transparenz, da hohe Transaktionskosten zu überhöhten Energiepreisen beigetragen hätten. Der Bericht spricht sich auch für eine EU-Niederlassungspflicht für Energiehändler aus (obwohl der Wortlaut nicht sehr spezifisch ist).

    Europäische Kommissionskandidaten für 2024 – 2029

    Am 17. September veröffentlichte die Europäische Kommission das Organigramm mit allen Namen und Berufsbezeichnungen der 27 EU-Kommissare und den jeweiligen Stellenbeschreibungen («Mission Letters»).

    Green Deal Team

    Drei Kommissare werden in der EU-Energie- und Klimapolitik eine herausragende Rolle spielen:

    1. Dan Jørgensen (DK, S&D) – Kommissar für Energie und Wohnungswesen

    Dan Jørgensen ist der derzeitige dänische Minister für Entwicklungszusammenarbeit und globale Klimapolitik. Er wird für die Überwachung der Energiepolitik der EU zuständig sein, wobei der Schwerpunkt seiner Arbeit bei der Reform des Strommarktes und der Integration der erneuerbaren Energien liegen wird. Eine weitere Priorität ist laut seinem Mission Letter die Elektrifizierung der europäischen Energiewirtschaft und die Beendigung russischer Energieimporte.

    2. Wopke Hoekstra (NL, EVP) – Kommissar für Klima, Netto-Null und sauberes Wachstum

    Wopke Hoekstra ist der derzeitige EU-Kommissar für Klimapolitik. Er wird sich auf die Erreichung der Netto-Null-Ziele der EU konzentrieren und die Dekarbonisierung wichtiger Sektoren, einschliesslich des Energiesektors, leiten. Laut seiner Mission Letter wird die Förderung grüner Technologien einer seiner Schwerpunkte sein.

    3. Teresa Ribera Rodríguez (ES, S&D) – Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang

    Teresa Ribera ist die derzeitige spanische Ministerin für den ökologischen Wandel. Sie wird die Arbeit von Jørgensen und Hoekstra überwachen. Sie soll das Wachstum erneuerbarer Energien sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich nachhaltig gestalten. Darüber hinaus wird sie dafür sorgen müssen, dass die EU ihre Klimaneutralitätsziele für 2050 erreicht ohne, dass die europäische Industrie aufgrund von steigenden Energiekosten abwandert. Darüber hinaus ist sie sowohl für den Wettbewerb (GD COMP) als auch die Wettbewerbsfähigkeit zuständig. Laut ihrem Mission Letter soll sie auch den Schutz von Arbeitnehmern und Regionen, die stark von fossilen Brennstoffen abhängig sind, sicherstellen.

    Wie geht es weiter?

    Die zweite Nominierung von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin war Teil eines umfassenderen Pakets, auf das sich die Staats- und Regierungschefs der EU geeinigt hatten. Dazu gehörten auch die Nominierungen von Antonio Costa (PT, S&D) zum Präsidenten des Europäischen Rates und von Kaja Kallas (EE, RenewEurope) zur Hohen Vertreterin der EU für auswärtige Angelegenheiten.

    Der nächste Schritt für die Leyen-II-Kommission sind die Anhörungen im Europäischen Parlament, die frühestens Ende Oktober stattfinden werden: Jeder designierte Kommissar wird einer öffentlichen Anhörung vor dem Europäischen Parlament unterzogen. Bei diesen Anhörungen werden die Kandidaten zu ihren Qualifikationen, politischen Positionen und ihrer Eignung für ihr jeweiliges Ressort befragt. Diese Anhörungen werden von Parlamentsausschüssen durchgeführt, die für den jeweiligen Politikbereich der Kandidaten zuständig sind. Sie können zu einer Zustimmung, Ablehnung oder zu Änderungsanträgen für die Ressortverteilung führen. Im Fall des Green Deal «Dream» Teams sind die zuständigen Ausschüsse der Energieausschuss (ITRE) und der Umweltausschuss (ENVI).

    Nach den Anhörungen stimmt das Europäische Parlament über das gesamte Kollegium der Kommissare ab, voraussichtlich im Oktober oder November. Es ist eine einfache Mehrheit erforderlich, um die Kommission als Ganzes zu bestätigen. Sobald das Europäische Parlament seine Zustimmung erteilt hat, ernennt der Europäische Rat die neue Kommission, ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit. Die neue Kommission tritt dann ihr fünfjähriges Mandat an, frühestens im November 2024.

     

    Weitere Informationen:

    Mission letters of the Commissioner candidates (17 September 2024)

    Draghi-Report (9 September 2024)

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