• 06.09.2024 | 40 Jahre Kernkraftwerk Leibstadt

    «Damals wie heute: Ich habe grosses Vertrauen in die Anlage»

    Im Zuge der Erdölkrise und des zunehmenden Widerstands gegen neue Wasserkraftwerke wurde das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) ab 1964 projektiert. Zwanzig Jahre später konnte das direkt an der deutsch-schweizerischen Grenze liegende Kraftwerk den kommerziellen Betrieb aufnehmen. Das ist heute 40 Jahre her. Hugo Schumacher, erster Kraftwerksleiter des KKL war mit dabei, als das jüngste Kernkraftwerk der Schweiz ans Netz ging. Im Interview erzählt er von den Freuden und Leiden der Anfangszeit und schwelgt in schönen Erinnerungen.

    Wie wurden Sie zum ersten Kraftwerksleiter des Kernkraftwerks Leibstadt?

    Ich kam im Jahr 1973 als technischer Projektleiter zur Firma Elektrowatt AG und war als solcher für das Kernkraftwerk Leibstadt zuständig. Im gleichen Jahr wurde die KKL AG gegründet, der Werkvertrag mit dem Kosortium BBC/ General Electric unterschrieben und eine erste Baubewilligung erteilt. 1974 begann dann der Bau der Anlage. Zehn Jahre später, kurz vor Inbetriebnahme, übernahm ich die Funktion des Kraftwerksleiters.

    Das KKL wurde von 1974 bis 1984 als viertes Kernkraftwerk der Schweiz gebaut – ein riesiges Projekt. Welche Herausforderungen gab es?

    Es gab in jeder Etappe verschiedene neue Herausforderungen. Die ersten Hürden hatten wir mit Beginn der Bauphase 1974 bereits überwunden, weitere kamen in den Jahren danach hinzu. Die Dauer der Bewilligungsprozesse und die sich immer wieder ändernden Sicherheitsanforderungen verzögerten den ursprünglichen Zeitplan. So musste z.B. der Bau eines autarken und gebunkerten Notkühlsystems eingeplant werden. Gleichzeitig hatten auch grössere Weltgeschehnisse Einfluss auf die Bauzeit des KKL: Nach dem Reaktorunfall in Harrisburg (USA) 1979 konzentrierten sich die Sicherheitsbehörden stark auf die Sicherheitsstandards der bestehenden Kernkraftwerke in der Schweiz. Daraus entstanden weitere Verzögerungen im nuklearen Bewilligungsverfahren.

     

    Wie war damals die Stimmung in der Bevölkerung in Bezug auf Kernkraft?

    Die Schweiz brauchte mehr Strom. Die besten Standorte für grosse Speicherkraftwerke in den Alpen waren ausgebaut und so dachte man an fossile Kraftwerke. Die Rede des US-amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower «Atoms for Peace» bei der UN-Vollversammlung 1953 hatte eine positive Wirkung auf die Wahrnehmung von Kernenergie. Das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung (EIR) in Würenlingen arbeitete bereits anfangs der 1960er Jahre an einem Forschungsreaktor. Gegen den Bau von Beznau 1 oder dem Kernkraftwerk in Mühleberg gab es kaum Opposition. Es herrschte Aufbruchsstimmung und das Vertrauen in die Technik sowie in das Können der Ingenieure war gross. Sogar einige SP-Politiker waren damals für die Kernkraft, so beispielsweise Bundesrat Willy Spühler (Bundesrat von 1960-1970). Das wäre heute unvorstellbar. In Leibstadt gab es zwar auch verschiedenen Aktionen der Anti-Atom-Bewegung wie beispielsweise Ostermärsche und Fackelzüge. Die Opposition war aber nie lokal, sondern aus den grösseren Städten in der Umgebung.

    Wie konnten sie genügend lizenziertes Personal für das KKL sicherstellen?

    Wir hatten mit der Rekrutierung eigentlich keine Probleme und fanden sehr gute Bewerber.

    Die theoretische Grundausbildung erhielten die künftigen Reaktoroperateure und Schichtchefs an der bereits etablierten Reaktorschule im EIR. Die Zeit, die aus den Verzögerungen im Bau der Anlage entstand, nutzten wir zur Vertiefung der Ausbildung und um Erfahrungen zu gewinnen. Dazu gehörten Kurse an Simulatoren in den USA und vor allem in Spanien. Dort war bereits der Simulator eines mit dem KKL identischen Reaktorsystems in Betrieb. Den Probe- und Testbetrieb einzelner Komponenten konnten sie dann bei uns miterleben. Das Personal der Maschinen- und Elektrotechnik profitierte von der Möglichkeit schon bei der Montage und den Tests der später zu betreuenden Komponenten in der noch voll zugänglichen Anlage dabei zu sein. So war die KKL-Mannschaft auf die Inbetriebnahme und den Betrieb sehr gut vorbereitet.

    Am 15. Dezember 1984 ging die Anlage in den kommerziellen Betrieb über. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?

    Die Übernahme der Verantwortung für den Betrieb des Kraftwerkes war für mich ein denkwürdiger Moment. Ich erinnere mich an das gute Gefühl, das sich einstellte, als die Anlage endlich auf voller Leistung lief. Die Belegschaft hat, zusammen mit den Lieferanten spontan ein Fest veranstaltet. Das Personal hat Unterhaltungsnummern eingebracht und ich habe mithilfe von Dias an die Freuden und Leiden der Bauzeit erinnert. Es war wirklich ein grossartiges Fest, die Stimmung fantastisch und eine freudige Atmosphäre.

    Welche Höhepunkte haben sie von Ihrer Zeit als Kraftwerksleiter in Erinnerung?

    Es sind nicht einzelne Höhepunkte, die mir auf diese Frage in Erinnerung kommen. Meine zehn Jahre als Kraftwerksleiter in Leibstadt waren als Ganzes die besten Jahre meiner beruflichen Tätigkeit. Die zwischenmenschlichen Kontakte und die vertrauensvolle Zusammenarbeit sowohl mit den vorgesetzten Stellen als auch den Mitarbeitenden haben meine Zeit als Kraftwerksleiter stark geprägt. Das Fachpersonal aller Abteilungen war pflichtbewusst und zuverlässig. Die Belegschaft zählte damals etwa 300 Personen, man kannte und vertraute einander, wir waren ein Team Das war für mich als Kraftwerksleiter von Bedeutung und das strahlte auch über den Werkszaun hinaus. Darum habe ich meinen Mitarbeitenden gegenüber immer wieder betont, dass sie die beste PR für unser KKL seien. Denn die Bewohnerinnen und Bewohner der Umgebung könnten ja die Sicherheit der Anlage nicht beurteilen, sie bilden sich aber eine Meinung über die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Menschen, die dort arbeiten.

    Das KKL wird dieses Jahr 40 und geht damit in den Langzeitbetrieb über. Welche Gefühle löst das in Ihnen aus?

    Das pensionierte Kaderpersonal steht in regelmässigem Austausch mit der heutigen Führungsriege. So erhalten wir immer wieder Informationen über aktuelle Projekte und auch Herausforderungen. Mit diesem Wissen kann ich heute so wie vor 40 Jahren sagen, dass ich grosses Vertrauen in die Anlage und in die Mitarbeitenden habe. Dass das KKL nun in den Langzeitbetrieb übergeht, und dass die Wahrnehmung der Kernenergie wieder positiver wird löst in mir Freude und ein gutes Gefühl aus.

    Was wünschen Sie dem KKL zum 40. Geburtstag?

    Dem KKL wünsche ich weiterhin gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, kompetente Vorgesetzte und den bewährten KKL-Teamgeist.

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