27.02.2024 | Wahl des Versorgers auch für Kleinverbraucher
Der Bundesrat startet in diesem Jahr einen neuen Anlauf für ein Stromabkommen mit der EU. Aus Sicht der EU ist die vollständige Marktöffnung in der Schweiz eine zentrale Voraussetzung für das Zustandekommen eines Abkommens. Kritiker befürchten, dass die vollständige Marktöffnung den Schutz von Kleinverbrauchern gefährdet. Die zusätzliche Wahlfreiheit würde aber geradezu das Gegenteil bewirken. Eine Einschätzung.
Der Bundesrat hat am 15. Dezember 2023 den Entwurf seines Verhandlungsmandats für ein Stromabkommen veröffentlicht. Das Stromabkommen soll die Einbindung der Schweiz in den europäischen Strombinnenmarkt sicherstellen, was die Versorgungssicherheit entscheidend stärken würde. Für diese Einbindung verlangt die EU als «conditio-sine-qua-non», dass die Schweiz den Strommarkt für alle Endverbraucher öffnet. Der Bundesrat sieht die vollständige Marktöffnung in seinen Verhandlungsleitlinien vor, möchte diese aber, in Einklang mit den EU-Bestimmungen, durch eine freiwillige Grundversorgung flankieren. Konsumenten könnten also zukünftig weiterhin in der Grundversorgung verbleiben, wenn sie sich nicht explizit für einen anderen Versorger entscheiden. Offen ist dabei, wie die zukünftige Grundversorgung im Detail ausgestaltet würde. Kritiker befürchten, dass die vollständige Marktöffnung zu weniger Schutz für Kleinverbraucher führt.
Auch wenn der Begriff vielleicht etwas anderes suggeriert, bietet die heutige Kostenregulierung nur wenig Schutz für Endverbraucher. Die Grundversorger verrechnen den Konsumenten zwar ihre Kosten weiter, das sagt aber nichts darüber aus, wie hoch diese Kosten ausfallen. Beschafft ein Versorger beispielsweise den Strom zum Zeitpunkt hoher Marktpreise, so werden die entsprechenden Kosten ebenfalls vollständig den gebundenen Verbrauchern weitergegeben. Die teilweise massiv angestiegenen Stromtarife in der Grundversorgung im letzten Jahr zeigen dies sehr eindrücklich. Selbst wenn Stromversorger die Gestehungskosten eigener Produktionsanlagen in die Grundversorgung einrechnen, bietet dies nicht per se einen Schutz. Das entlastet die Konsumenten zwar bei sehr hohen Marktpreisen, führt bei tiefen Marktpreisen aber wiederum zu einer höheren Belastung. Gemäss Bund werden zudem im schweizweiten Durchschnitt nur rund ein Drittel des Stromabsatzes in der Grundversorgung mit Gestehungskosten gedeckt, u.a. da viele Versorger gar keine eigenen Produktionsanlagen besitzen und da die Schweiz im Winter auf Stromimporte angewiesen ist.
Kritiker bemängeln, dass eine Marktöffnung bei einem homogenen und essenziellen Gut wie Strom wenig Nutzen bringe. Für diese Behauptung gibt es jedoch viele Gegenbeispiele, u.a.:
Konsumenten wären nicht mehr vom lokalen Grundversoger abhängig, sondern können bei Unzufriedenheit, z.B. bezüglich dessen Beschaffungsstrategie, Tarifhöhe oder Kundenservice, wechseln.
Konsumenten erhalten mehr Wahlfreiheit bezüglich ihrer Stromqualität (z.B. inländischer statt ausländischen erneuerbaren Stroms). Umgekehrt können lokale Stromprodukte besser vermarktet werden.
Stromversorger können innovative Produkte und Zusatzdienstleistungen anbieten, welche durch den heutigen Regulierungsrahmen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich sind. Beispielsweise könnten dynamische Energietarife angeboten werden, mit denen auch Kleinverbraucher ihre Flexibilität (z.B. Batterien und E-Autos) gewinnbringend einsetzen und gleichzeitig das Netz entlasten können. Versorger hätten auch mehr Freiheit, um bspw. Community-Produkte anzubieten, bei denen sich Konsumenten gemeinsam an Produktionsanlagen beteiligen.
Der Wettbewerb führt bei Energielieferanten zu mehr Kostendruck. Dies hat wiederum eine positive Wirkung auf die Effizienz bei der Stromproduktion und -beschaffung.
Zusammengefasst würde eine vollständige Marktöffnung auch kleinen Verbrauchern die Möglichkeit bieten, von einer breiteren Produktpalette, innovativen Lösungen und günstigeren Stromtarifen Gebrauch zu machen.
Auch bei einer vollständigen Marktöffnung würde gemäss Leitlinien des Bundes eine Grundversorgung bestehen bleiben. Die EU sieht eine solche explizit für Haushalte und Kleinunternehmen vor. Haushalte könnten also auch zukünftig auf den Strom ihres designierten Grundversorgers zählen, wenn sie sich nicht explizit für einen anderen Lieferanten entscheiden. Gemäss EU-Vorgaben müssen die Preise in der Grundversorgung wettbewerbsfähig, transparent und diskriminierungsfrei sein. Sie haben sich aber grundsätzlich an den Marktgegebenheiten zu orientieren; durch den Staat geförderte Tarife sind nämlich nur in Ausnahmefällen für besonders schützenswerte Kunden möglich.
Die EU hat mit der kürzlich verabschiedeten Strommarktreform den Schutz der Verbraucher weiter gestärkt. Zur Verhinderung von Preisspitzen werden Versorger zukünftig verpflichtet, zusätzliche Verträge mit Fixpreisen inklusive Mindestlaufzeit von einem Jahr anzubieten und sich bei der Beschaffung gegen Preisschwankungen abzusichern.
Mit diesen Elementen können Schweizer Konsumenten auch bei einer vollständigen Marktöffnung – wenn nicht gar besser als heute - vor Preissprüngen geschützt werden. Sie würden dabei aber zusätzlich vom letztlich wichtigsten Schutz profitieren, den Stromversorger frei wählen zu können.