16.08.2023 | 350 Tonnen Wasserstoff aus Rheinwasser

Wasserstoff aus dem Rhein - ein Puzzleteil der Schweizer Energiezukunft

In Domat/Ems produziert Axpo zusammen mit der lokalen Partnerin Rhiienergie ab Winter 2023 aus Rheinwasser bis zu 350 Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Der grüne Wasserstoff soll insbesondere im Schwerverkehr zum Einsatz kommen und rund 1,5 Millionen Liter fossilen Dieseltreibstoff ersetzen. Mit der Wasserstoffproduktionsanlage im Kanton Graubünden investiert Axpo in ein weiteres wichtiges Puzzleteil der künftigen Schweizer Energieversorgung.

Auf der A13 in Richtung San Bernardino unterwegs, sticht linkerhand, prägnant auf einem Hügel platziert, die Kapelle St. Antonius ins Auge. Wer den Blick wenig später nach rechts schwenkt, entdeckt ein Steinwurf von der Autobahn entfernt das Betriebsgebäude und Stauwehr des Kraftwerks Reichenau. Wenige Meter daneben herrscht Hochbetrieb. Hier entsteht eine kleine, aber feine Wasserstoffproduktionsanlage.

Rudolf Büchi, Leiter Kraftwerksgruppe Vorderrhein der Axpo, blickt vom Stauwehr auf die Baustelle. Die Fundamente sind erstellt, zwei Container sind platziert. Container? «Egal ob Kompressor, Spannungsumwandler oder Elektrolyseurstation, alle Module der Wasserstoffproduktionsanlage haben eine Normgrösse, wie wir sie von Schiffscontainern her kennen.» Das bringt Vorteile beim Transport, bei der Planung und nicht zuletzt bei der Anordnung der Module. «Wir können zwei Container übereinanderstapeln und so auf kleinstem Raum Wasserstoff produzieren», erklärt Rudolf Büchi. So benötigt die gesamte Anlage lediglich die Fläche einer Einfamilienhausparzelle.

Entstehung von grünem Wasserstoff aus Rheinwasser

Das Rheinwasser wird künftig in einem Elektrolyseur zu Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) aufgespalten. Es handelt sich dabei um die sogenannte Power-to-Gas-Technologie. Weil Axpo für die Elektrolyse betriebseigenen Strom aus der erneuerbaren Quelle Wasser verwendet, wird bei der Wasserstoffproduktion kein CO2 freigesetzt, was dem besten Label grüner Wasserstoff entspricht.

Demgegenüber entsteht grauer Wasserstoff bei der Produktion durch Gas und ist nicht klimaneutral. Auch bei blauem Wasserstoff ist Gas beteiligt, indessen wird das entstandene Kohlenstoffdioxid mittels Carbon Capture and Storage-Technik gespeichert und unterirdisch gelagert. Bei türkisem Wasserstoff wird das Methan im Erdgas in Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten. Fester Kohlenstoff ist ein Granulat, kann gelagert und wiederverwendet werden. So gelangt ebenfalls kein CO2 in die Atmosphäre. Wenn die für die Aufspaltung von Methan aufgewendete Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, ist türkiser Wasserstoff ebenfalls klimaneutral.

Drei Abfüllstationen für die regionale Belieferung

Neben Rudolf Büchi brummen Maschinen. Zwei Männer arbeiten am Feinschliff des Kompressors. Dieser wird den frisch produzierten Wasserstoff künftig bis zu 500 bar verdichten. Mit dem Bau der drei Abfüllstationen wird die Bau- und Montagephase im Winter 2023 abgeschlossen. Vorher aber noch die Installation des Herzstücks, des Elektrolyseurs, auf dem Programm. «Unser Lieferant aus Deutschland, der dieses modular aufgebaute Systemkonzept entwickelt hat, wird danach mit uns die Inbetriebsetzung vornehmen.» Einmal in Betrieb, wird die Anlage pro Tag zwischen 700 und 800 Kilogramm Wasserstoff produzieren. Das tönt nach wenig, ist es aber nicht. Wasserstoff ist ein farb- und geruchloses und vollkommen ungiftiges Gas. Sein spezifisches Gewicht ist 0,0899 g/l. Luft ist 14,4 mal so schwer.

Wasserstoffproduktion bei Stromüberschuss

Für ein effizientes Betriebsregime zur Wasserstoffproduktion will Betreiberin Axpo in einer ersten Betriebsphase Erfahrungswerte sammeln. Klar ist: Hauptfokus des Kraftwerks Reichenau bleibt die Stromproduktion durch Wasserkraft. In Zukunft soll rund um die Uhr Wasserstoff produziert werden. Gut, dass verdichteter Wasserstoff in Tanks gut lagerfähig ist.  

Kraftwerkt Reichenau - Vorreiter in Ökologie und Innovation

Kein anderes Schweizer Flusskraftwerk am Rhein kombiniert derzeit die Stromproduktion so elegant mit Ökologie und Innovation. Davon profitieren nicht zuletzt die Seeforellen des Bodensees, welchen beim Stauwehr, auf ihrem Weg zum Laichplatz im Vorder- und Hinterrhein, eine 120 Meter lange, ausgeklügelte Fischtreppe zur Verfügung steht. Rudolf Büchi: «Rund eine halbe Stunde hat eine Seeforelle, um die 12 Meter Höhendifferenz über die 52 in Treppen angeordneten Becken zu bewältigen».

Um den Fischen eine perfekte Route flussaufwärts zu bahnen, nutzt Rudolf Büchi zunehmend digitale Tools. «Mit Drohnen vermessen und dokumentieren wir die Morphologie des Unterwassers», erklärt Rudolf Büchi. «Damit stellen wir sicher, dass den Fischen stets eine genügend grosse Wasserrinne bis zum Einstieg in die Fischtreppe zur Verfügung steht.»

Dem Lockwasser für die Fische vorgelagert, produziert eine kleine 275 kW-Dotieranlage derweil Strom. Diese Dotieranlage wurde zur Nutzung des Restwassers eingebaut, das den restlichen Rheinlauf belebt. So optimierte Axpo die Stromproduktion im Kraftwerk Reichenau bis ins Detail. Es überrascht daher nicht, dass Axpo nun ihr wertvollstes Gut ein weiteres Mal verwenden wird – diesmal zur Wasserstoffproduktion. Mit der neuen Wasserstoffproduktionsanlage wird ein weiteres, ergänzendes Element in einen bereits nachhaltigen Kreislauf eingebunden. Auf diese Art gelingt Axpo direkt an der A13, was viele Kraftwerksbetreiber anstreben: das optimale Gleichgewicht zwischen Schutz und Nutzen der erneuerbaren Ressourcen. «Was wir hier mit dieser Kleinanlage schaffen, ist eine Art Generalprobe», erklärt Rudolf Büchi. «Wenn solche Anlagen auch im grossen Stil funktionieren, wird Wasserstoff seinen Anteil an die Energiezukunft leisten können.» 

Kraftwerke Reichenau AG

Das Kraftwerk Reichenau ist seit 1962 in Betrieb, liegt am Zusammenfluss des Vorder- und Hinterrheins bei Domat/Ems und ist damit das erste Flusskraftwerk des 1'233 Kilometer langen Rheins. Das 78 Meter breite Wehr verfügt über drei Regulierungsöffnungen von je 18 Metern und einer Grundablassöffnung von 12 Metern. Das gestaute Wasser wird rechterhand in den Oberwasserkanal und weiter in die rund 1,5 km entfernte Zentrale geleitet. Zwei Kaplanturbinen mit je 9500 kW Leistung sowie zwei Generatoren à 14'000 kVA ermöglichen eine mittlere Jahresproduktion von 107 Mio. kWh Strom.

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