15.08.2023 | Mythen und Irrtümer halten sich manchmal hartnäckig
Produktion und Vertrieb von Strom sind eine komplexe Angelegenheit. Entsprechend viele Mythen und Irrtümer sind in der öffentlichen Diskussion im Umlauf. Wir haben einige gesammelt und stellen sie richtig.
Der PV-Ausbau auf Dächern ist ein «no-regret-move». Natürlich müssen so rasch als möglich so viele Dächer wie möglich mit Solaranlagen ausgestattet werden. Es ist die Technologie, die in der Bevölkerung die höchste Akzeptanz geniesst (gfs Studie im Auftrag des VSE). Zudem braucht sie keine zusätzlichen Flächen, sondern nutzt bestehende Bauten aus. Aus einer Kostenoptik betrachtet sind vor allem grössere Dachanlagen auf Industriegebäuden und PV-Parkplatzüberdachungen attraktiv. Allein mit PV auf Dächern geht es allerdings nicht, denn sie liefert zu wenig Strom im Winter. Wir müssen auch Solar-Freiflächenanlagen im Mittelland und in den Bergen zubauen. Gerade alpine Anlagen liefern wichtigen Winterstrom und haben somit einen besonderen Stellenwert. Der Blick auf die Kosten zeigt zudem: Solar-Grossanlagen gehören mitunter zu den kostengünstigsten Technologien überhaupt. Je grösser eine Anlage gebaut wird, desto besser die Skaleneffekte. Es braucht einen Mix von Technologien, der unter anderem auch alpine PV sowie Windkraft enthält. Beide Technologien liefern besonders viel Strom in den kritischen Wintermonaten.
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Man muss die Relationen wahren. Um beispielsweise zehn Terawattstunden zusätzlichen Winterstrom mit alpiner Photovoltaik zu produzieren, was etwa einem Sechstel des heutigen Stromverbrauchs entspricht, braucht es insgesamt Panels mit einer Fläche in der Grössenordnung von rund 100 Quadratkilometern. Die Alpenfläche aber umfasst 20 000 Quadratkilometer. Ein weiteres Beispiel: Für fünf Terawattstunden Winterstrom mit Windkraft sind rund 800 Windräder nötig. Deren Fundamente würden insgesamt eine Fläche von weniger als einem Quadratkilometer in Anspruch nehmen. Die Flächen unterhalb der Windkraftanlagen könnten etwa landwirtschaftlich genutzt werden. Von «zupflastern» kann also keine Rede sein. Klar ist, dass es einen ausgewogenen Produktions-Mix braucht, und dazu gehören neben der wichtigen Schweizer Wasserkraft eben auch Solar- und Windenergie.
Lesen Sie mehr im NZZ-Interview (Paywall) mit Christoph Brand, CEO von Axpo.
Die Schweiz produziert pro Jahr ungefähr gleich viel Strom wie sie verbraucht. Nur nicht zum richtigen Zeitpunkt: Im Sommer exportieren wir den nicht speicherbaren Strom, in den Wintermonaten importieren wir ihn hingegen. Stromimporte werden auch in Zukunft nötig sein. Komplette Autarkie wäre enorm teuer. Eine Isolation der Schweiz mache weder technisch noch ökonomisch Sinn und führe schon gar nicht zu einer höheren Versorgungssicherheit, schlussfolgert etwa eine ETH-Studie. Der sinnvolle Weg der Schweiz für eine klimafreundliche und sichere Stromversorgung wird auch in Zukunft internationale Vernetzung und Handel beinhalten. Diese bedingen aber stabile Verhältnisse und entsprechende Abkommen mit unseren Nachbarn.
Die Schweiz braucht bis 2050 jährlich rund 50 Terawattstunden mehr Strom als heute. Die Wasserkraft wird weiterhin sehr wichtig bleiben, aber die guten Standorte sind längst belegt. Die Wasserkraft hat praktisch kein Ausbaupotenzial. Die 15 Projekte des runden Tisches würden zusammen 2 Terawattstunden Strom generieren. Das ist ein wichtiger Beitrag, aber hauptsächlich eine Verlagerung der Stromproduktion vom Sommer in den Winter, kaum zusätzliche Produktion.
Lesen Sie mehr zur Wasserkraft im Handelszeitung-Interview mit Christoph Brand, CEO von Axpo.
Speicherseen sind beste Saisonspeicher. Die Erhöhung einer Staumauer bei einer Anlage führt zu einer Verlagerung der Stromproduktion vom Sommer in den Winter. Dies weil während des Jahres mehr Wasser in den nunmehr grösseren Speicherseen zurückgehalten werden kann, um in kritischen Wintermomenten turbiniert zu werden. Allerdings sind auch Speicherseen keine alleinige Patentlösung für die Energiewende. In den Schweizer Speicherseen «lagern» maximal 8,9 TWh Strom. Und höhere Staumauern erhöhen die Wasserzuflüsse nicht, daher bleibt die gesamte nutzbare Wassermenge übers Jahr gesehen gleich. Die Stromproduktion wird «lediglich» vom Sommer in den Winter verschoben. Pumpspeicherwerke sind übrigens nicht geeignet für die saisonale Umlagerung. Ihre Vorteile liegen in der wertvollen Flexibilität für Stunden oder Tage, nicht aber Monate.
Lesen Sie mehr über das Potential von Staumauererhöhungen für den Winterstrom in der Schweiz.
Die Schweiz importiert während der Wintermonate heute jährlich rund 5 TWh Strom. Diese Zahl dürfte in den nächsten Jahren noch steigen. Das setzt voraus, dass andere Länder diesen Strom exportieren können. Der Ausbau von Solarenergie in Ländern wie Spanien oder Windenergie in Frankreich ist also auch für die Schweiz relevant, da er zur klimafreundlichen Stromproduktion in Europa beiträgt und die Energieversorgungssicherheit ganzheitlich stärkt. Solange Europa genügend Strom hat, hat potenziell auch die Schweiz genug. Axpo leistet mit ihren Anlagen im europäischen Ausland einen Beitrag, damit künftig genügend Strom für die Bedürfnisse Europas zur Verfügung steht – und damit indirekt auch für die Importbedürfnisse der Schweiz. Ihre lange Erfahrung im Solarbereich und ihre grosse Expertise in diversen Solar-Technologien will Axpo vermehrt in der Schweiz einsetzen: Dank regulatorischer Erleichterungen konnte Axpo im Herbst 2022 ihre grosse Solaroffensive in der Schweiz lancieren. In den letzten 10 Jahren hat Axpo 70% ihrer Investitionen in der Schweiz getätigt.
Die Schweiz ist zwar kein typisches Windland, doch dank technischem Fortschritt und besseren politischen Rahmenbedingungen ist das Potenzial der Windkraft massiv höher als lange gedacht. Neue Windräder sind grösser und effizienter. Sie liefern auf der gleichen Fläche mehr Strom. Ein wichtiger Vorteil von Windenergie: Zwei Drittel des Stroms wird in den Wintermonaten erzeugt, also dann, wenn wir am meisten Strom verbrauchen. Sie ist darum eine hervorragende Ergänzung zur Photovoltaik. Zudem ist der Onshore-Windzubau (also Windkraft an Land) im Technologievergleich mit am kostengünstigsten. Eine Anlage kann schnell gebaut und, falls sie nicht mehr gebraucht würde, schnell wieder zurückgebaut werden. Diese Vorteile sollten wir in der Schweiz für die sichere Stromversorgung nutzen. Österreich erzeugt mit 1307 Windanlagen Anlagen 12 Prozent seines Strommix – in der Schweiz ist es mit 41 Anlagen weniger als ein halbes Prozent.
Axpo würde gerne mehr Windkraft in der Schweiz zubauen, leider sind aber die regulatorischen Rahmenbedingungen (Stichwort lange Verfahren) und die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Windkraft in der Schweiz sehr herausfordernd. Aktuell verfolgt Axpo über ihre Tochter CKW aktiv sechs Windparkprojekte in der Zentralschweiz und im Aargau. Die potenziell rund 20 Turbinen sollen dereinst sauberen Strom für über 30'000 Haushalte produzieren (5,5 MW installierte Leistung pro Turbine, insgesamt 110 MW).
Lesen Sie mehr über die 7 Gründe für den Bau von Windkraftanlagen in der Schweiz.
Die bestehenden Kernkraftwerke sind eine zentrale Stütze für die klimafreundliche Versorgungssicherheit der Schweiz. Sie sollen so lange weiter betreiben werden, wie sie sicher und wirtschaftlich sind. Ein Neubau ist jedoch Stand heute verboten. Grundsätzlich ist es ein gesellschaftlicher Entscheid, ob die Schweiz auch in Zukunft auf Kernenergie setzen soll. Sicher ist: heute wären die finanziellen und regulatorischen Hürden zu hoch, um für neue Kernkraftwerke Investoren zu finden. Daher und aufgrund des geltenden Neubauverbots wird auf absehbare Zeit kein neues Kernkraftwerk in der Schweiz gebaut, unabhängig von der technologischen Entwicklung.
Ob es um PV, Wind oder Wasserkraft geht – gegen beschleunigte Verfahren und Ausbauprojekte regt sich Widerstand von Umwelt- und Landschaftsschutzverbänden. Ihnen gemeinsam ist die Befürchtung, dass Schutzanliegen gefährdet sind, vor allem, wenn es um Schutzgebiete von nationalem Interesse geht. Dabei gibt es keinen Widerspruch zwischen berechtigten Schutzanliegen und dem von Politik und Gesellschaft gewünschten Ausbau der erneuerbaren Energien – sofern diese Interessenabwägung mit Augenmass erfolgt.
«Wenn bei der Umsetzung vernünftiges Augenmass und gesunder Menschenverstand angewendet wird, dann finden wir eine gute Balance zwischen ökologischen Anliegen und Stromproduktion», sagte Axpo CEO Christoph Brand kürzlich in der Samstagsrundschau von Radio SRF. Es brauche keinen Ausbau der Produktion in den am meisten schützenswerten Landschaften der Schweiz. «Aber man muss dann auch aufhören, Projekte in weniger schützenswerten Landschaften zu bekämpfen.»
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Grüner Wasserstoff (also Wasserstoff, der aus erneuerbarer Energie hergestellt wird) ist von grosser Bedeutung, weil er klimaneutral ist und zur Dekarbonisierung beitragen kann. Für die saisonale Umlagerung wird man auf dem Weg zu Netto-Null nicht darum herumkommen. Vor allem dann nicht, wenn - wie sich in der Schweiz zeigt - der Ausbau von alpiner Fotovoltaik und Windanlagen nicht richtig vorankommt oder keine anderen winterproduktionsfähigen Technologien gebaut werden können. Darüber hinaus kann die CO₂-Belastung bereits zeitnah durch den Ersatz von grauem Wasserstoff (also Wasserstoff, der seinen Ursprung in fossilen Brennstoffen hat) durch grünen Wasserstoff reduziert werden.
Die Wirtschaftlichkeit von Wasserstoff ist heute noch nicht abschliessend gewährleistet. So bringt das Herstellen von Wasserstoff durch Strom hohe Energieverluste mit sich und der Umgang mit der neuen Technologie ist momentan noch ziemlich ineffizient. Ausserdem gibt es logistische Herausforderungen (Transport von Wasserstoff). Klar ist aber auch: Die Technologie ist noch nicht ausgereizt, Verbesserungen dürfen erwartet werden – so wie es auch bei der Photovoltaik-Technologie seit Jahren der Fall ist. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird ein internationaler Markt für grünen Wasserstoff und Synthesegas entstehen. In ganz Europa wird die Wasserstoffnachfrage potenziell sehr hoch sein.
Der Bereich Wasserstoff wurde bei Axpo als strategisches Wachstumsfeld definiert und zurzeit entsteht die erste Produktionsanlage beim Wasserkraftwerk Reichenau.
Lesen Sie mehr über den Hoffnungsträger Wasserstoff im Weltwoche-Interview mit Martin Koller, Chefstratege von Axpo.
Unsere Handelsentscheide basieren auf detaillierten und fundamentalen Analysen, die von Wetterprognosen bis zu fundierten Risikoeinschätzungen reichen. Der Handel umfasst bei Axpo nicht nur den Eigenhandel, der unser kleinster Geschäftsbereich ist, sondern insbesondere die Vermarktung der eigenen Produktion (Asset Backed Trading) und das massgeschneiderte Kundengeschäft, Origination genannt, das Lieferverträge mit Endkunden sowie Strombezugsverträge anbietet.
Im Energiesektor sind Produktion und Handel eng miteinander verflochten. Es genügt nicht, ein Kraftwerk anzuwerfen, den Strom ins Netz zu speisen und dann zu hoffen, jemand könne den Strom dann schon gebrauchen. Handel ist der Absatzkanal unseres Produktes Strom. Produktion ohne Handel wäre wie ein Förderband, das ins Leere läuft. Der Handel ist der Marktplatz der Produzenten.
In einer Welt, die zunehmend von mehr verteilter, dezentraler Produktion mit Erneuerbaren quer über Europa geprägt ist, wird der Handel in Zukunft noch wichtiger werden, auch weil je nach Geografie gewisse Regionen besser für bestimmte Technologien geeignet sind.
Lesen Sie 10 Fragen und Antworten zum Stromhandel.
Axpo verfügt über eine hinsichtlich Regionen und Geschäftsfeldern diversifizierte Strategie. Diese Strategie reduziert Risiken und macht Axpo unabhängiger vom volatilen Strompreis.
In den vergangenen 10 Geschäftsjahren hat der Handel im Durchschnitt rund 40% des gesamten Betriebsgewinns (EBIT) der Axpo beigesteuert. Ohne diese Einnahmen wären die Möglichkeiten für Axpo, auch in der Schweiz zu investieren, massgeblich beschränkt.
Gerade dank des erfolgreichen Handels- und Auslandsgeschäfts ist Axpo bisher gut durch die europäische Energiekrise gekommen. Die Diversifikation hinsichtlich Märkte und Geschäftsfelder half, den Liquiditätsbedarf aus der Absicherung der Schweizer Produktion aufzufangen.