21.09.2018 | Die Versorgungssicherheit in Europa wird schlechter

Kraftwerke: Kapazitäten sinken

Eine Analyse des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft zeigt: Deutschland wird sich im kommenden Jahrzehnt nicht allein auf Stromimporte aus dem europäischen Ausland verlassen können. Denn die derzeit noch vorhandenen Überkapazitäten an gesicherter Kraftwerksleistung schmelzen in ganz Europa mittel- bis langfristig dahin.

Wenn es knapp wird mit der Stromproduktion in Deutschland springen die Nachbarn ein: Strom aus Frankreich, Österreich, den Niederlanden oder der Schweiz fliessen dann ins deutsche Stromnetz. Auch der umgekehrte Stromfluss von Deutschland in die Nachbarstaaten ist heute gängige Praxis.

Doch was heute gilt wird in Zukunft schwieriger, die europäische Solidarität brüchiger werden. Das zeigt eine Studie des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Deutschland. Hintergrund des Berichts ist die Frage, wie im kommenden Jahrzehnt in Deutschland die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann, wenn nach dem Ausstieg aus der Kernkraft auch Leistung in Form von Kohlekraftwerken vom Netz genommen wird. Wie in der Schweiz (siehe Box) soll auch in Deutschland nach Auffassung vieler Akteure ein zunehmender Import von Strom aus dem Ausland ein zentrales Element in solchen Situationen sein.

Deutlich weniger Leistung

Der BDEW hat aufgrund von Daten des wissenschaftlichen Dienstes und der Übertragungsnetzbetreiber analysiert, wie sich der Kraftwerkspark in den Nachbarländern Deutschlands entwickeln wird.

Das Ergebnis zeigt: "Angekündigte oder diskutierte Planungen in den betrachteten Staaten (EU28) zeigen einen allgemeinen Trend des Abbaus von Kohlekapazitäten sowie von Kernenergie bei gleichzeitigem starken Zuwachs von Erneuerbaren Energien. Dies entspricht, wie zu erwarten, den absehbaren Entwicklungen in Deutschland. Die derzeit noch vorhandenen Überkapazitäten an gesicherter Leistung schmelzen damit überall in Europa mittel- bis langfristig dahin."

Abnahme von 63 Prozent

So ergibt sich bei den Kohlekraftwerken in der EU von 2016 bis 2025 ein Rückgang der installierten Leistung von von 150 GW auf 105 und bis 2030 auf 55 GW. Das entspricht einer Abnahme von 63 Prozent.

Die Chancen, dass eine Engpasssituation in Deutschland mit einem Überangebot an Erzeugungskapazitäten in den Nachbarländern einhergeht, seien als eher gering zu bewerten, sagt dazu BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer.

«Die Zeiten, in denen sehr viel Strom nachgefragt wird, sind in Mitteleuropa nahezu deckungsgleich»
Stefan Kapferer, BDEW

Denn: Die Zeiten, in denen sehr viel Strom nachgefragt wird, sind in Mitteleuropa nahezu deckungsgleich. Ein besonders kalter Winter macht zudem nicht an einer deutschen Grenze halt. Und die stromintensiven Werktage sind in Europa meist identisch.

„Wir können uns in solchen Phasen nicht darauf verlassen, aus diesen Ländern Strom in nennenswertem Umfang importieren zu können." Leider funktioniere auch die Idee nicht, die Versorgungssicherheit in Deutschland mit dem Import von mehr Erneuerbaren-Strom aus dem EU-Ausland abzusichern, so Kapferer: "Die für Wind und Photovoltaik entscheidenden Großwetterlagen führen in Zentraleuropa zu einer mehr oder weniger deutlichen Gleichzeitigkeit von Erzeugungsmangel oder Überflusssituationen."

Deshalb kommt die Studie zum Schluss: "Es wäre zu riskant, wenn sich Deutschland zum Beispiel in einer Winter-Dunkelflaute auf Stromimporte verlassen würde“. Und: „Es wird in Deutschland neue Erzeugungskapazitäten auf Basis von Gas brauchen“.

Situation in der Schweiz

Das sagt der Bund: Die Schweiz werde bis 2035 ausreichend Strom zur Verfügung haben – sofern die Integration in den europäischen Strommarkt gelingt, die Energieeffizienz gesteigert wird und der Anteil an erneuerbaren Energien wächst. Der Bund stützt sich dabei auf eine Studie, welche am Infrastrukturtag 2017 des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) präsentiert worden ist. 

Für Benoît Revaz, den Direktor des Bundesamts für Energie, zeige die Studie zur „System Adequacy“ anhand mehrerer Entwicklungsszenarien, dass die Versorgungssicherheit bis 2035 gewährleistet ist. Dies gelte auch für den Fall, dass in der Schweiz und den umliegenden Ländern eine rasche Transformation in Richtung erneuerbare Energien erfolge. Die Schweiz habe auf absehbare Zeit kein Leistungsproblem, so dass ein Kapazitätsmechanismus weder sinnvoll noch notwendig sei. Die langfristige Versorgungssicherheit könne marktorientiert und im Verbund mit unseren Nachbarstaaten durch Importe sichergestellt werden. 

Gemäss Revaz müsse das Ziel des neuen Marktdesigns die Stärkung des Marktes und die Integration in die umliegenden Märkte sein. Zur Stärkung der Marktsignale und der Effizienz sei die volle Marköffnung ein wichtiges Element. Um die Energieverfügbarkeit auch in extremen Situationen zu gewährleisten, sei zudem eine strategische Reserve als zusätzliches Sicherheitselement zu einem starken „Energy Only“-Markt zu prüfen.

Das sagt Axpo: „Axpo bedauert, dass für eine sichere Versorgung fast ausschliesslich auf Importe gesetzt wird. Die Schaffung einer strategischen Reserve ist in dieser Hinsicht zu begrüssen, falls sie marktnah ausgestaltet ist. Noch besser wäre eine Stärkung der einheimischen, erneuerbaren Wasserkraft, die unter den tiefen Grosshandelspreisen leidet. Sie wird in den nächsten Jahrzehnten das Rückgrat der Schweizer Stromversorgung sein.“

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