18.01.2022 | Gastbeitrag von Christoph Brand in der NZZ
Der Bund ist für die Versorgungssicherheit bei Strom in der Schweiz verantwortlich. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Stromunternehmen aus der Verantwortung ziehen.
Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien so langsam weitergeht wie bisher, ist eine zuverlässige Versorgung nach dem schrittweisen Abschalten der Kernkraftwerke fraglich. Technisch ist die Versorgungssicherheit mit einem guten Mix von Technologien grundsätzlich machbar – Wasserkraft und Photovoltaik müssen dabei eine zentrale Rolle spielen, ergänzt mit CO2 - neutralen Gaskraftwerken, Wind und Biomasse.
Doch die Rahmenbedingungen sind zurzeit zu unattraktiv, als dass sich genügend Investoren für neue Anlagen finden liessen. Bei Grossanlagen sind beispielsweise der starre Wasserzins, jahrelange Bewilligungsverfahren oder der mangelhafte Förderrahmen grosse Hindernisse. Und für Einfamilienhausbesitzer müsste es attraktiver werden, die gesamte Fläche ihres Daches mit Solarpanels zu belegen, anstatt im Hinblick auf ihren Eigenverbrauch nur eine kleine Anlage zu montieren. Diese Rahmenbedingungen werden von der Politik gesetzt.
Weil die Rahmenbedingungen entscheidend sind, trägt der Bund die Hauptverantwortung für die Stromversorgungssicherheit. Die Gesetzeslage dazu ist klar. Gemäss Artikel 6 des Energiegesetzes sorgt die Energiewirtschaft – also die Branche – für die Energieversorgung, während Bund und Kantone für die Rahmenbedingungen sorgen, damit die Energiewirtschaft diese Aufgabe erfüllen kann.
Diese Aufteilung ist sinnvoll. Wären die Unternehmen in der alleinigen Verantwortung, müsste sich die gesamte Branche untereinander koordinieren, was aufgrund der Vielzahl der Akteure kaum umzusetzen wäre. Auch wären Mengen- und Preisabsprachen über Stromproduktion und -verbrauch notwendig, was kartellrechtlich höchst problematisch wäre. Schliesslich wäre das in einem internationalen Markt wie dem Energiemarkt gar nicht möglich, wir müssten zu der alten flächendeckenden Monopolwirtschaft mit umfassendem Protektionismus an den Landesgrenzen zurückkehren. Man darf nicht vergessen: für ein Unternehmen wie Axpo, das praktisch voll dem Markt ausgesetzt ist, wird der für jede Investitionsrechnung ausschlaggebende Grosshandelspreis im Ausland gesetzt, nicht in der Schweiz.
Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit des Landes ist also genauso wenig bei einzelnen Unternehmen wie Axpo, wie die Versorgungssicherheit bei Impfstoffen bei einer spezifischen Pharmafirma liegt. Als grösstes Stromunternehmen gibt Axpo trotzdem hohe Summen für die Versorgungssicherheit in der Schweiz aus. In den letzten Jahren haben wir im Inland fast dreimal so viel investiert wie im Ausland. Mehrere Milliarden Franken flossen somit insbesondere in den Erhalt der Wasserkraft, in die Netze oder in die Sicherheit der Kernkraftwerke.
Für viele Neuprojekte hingegen sind die Rahmenbedingungen derzeit schlicht zu unattraktiv. Wir sehen zwar die Notwendigkeit für die Beschleunigung des Ausbaus neuer Kapazitäten. Doch können wir unseren Eigentümern – den Kantonen und ihren Bevölkerungen – keine Millionenverluste durch defizitäre Projekte zumuten. Das wäre auch mit der Treue- und Sorgfaltspflicht gegenüber den Aktionären nicht vereinbar und würde das Unternehmen langfristig fundamental gefährden.
Was ist zu tun? Die Rahmenbedingungen für einen schnellen Ausbau der klimafreundlichen Stromproduktion sind dringend zu verbessern, um die Wahrscheinlichkeit für kritische Situationen in Zukunft zu minimieren. Dafür braucht es viel schnellere Bewilligungsverfahren sowie geeignete Instrumente und ausreichende Mittel, insbesondere mit mehr Anreizen für die Winterstromproduktion. Mit welcher Technologie eine wetterunabhängige Bandstromproduktion im Winter aufgebaut werden soll, ist indes einerseits eine technische und ökonomische, aber auch eine Frage für Gesellschaft und Politik.
Gemeinsam ist eine CO2 -freie und sichere Stromversorgung möglich, davon sind wir überzeugt.
Dieser Text erschien am 17. Januar als Gastbeitrag in der Neuen Zürcher Zeitung.