28.03.2018 | Grüne Energie und Natur im Einklang – geht das?
Windenergie ist Sinnbild der Energiezukunft und bei den meisten Menschen grundsätzlich positiv besetzt. Sobald es jedoch an die konkrete Umsetzung geht, wird es schwieriger. Und dies nicht nur bei betroffenen Anwohnern, sondern auch bei Naturliebhabern. Denn die eleganten Riesen können namentlich für Vögel und Fledermäuse eine Gefahr darstellen.
Die von den Stimmberechtigten am 21. Mai 2017 verabschiedete Energiestrategie 2050 soll den Umbau des Schweizer Energiesystems vorantreiben und die Erneuerbaren Energien fördern. Nebst finanziellen Fördermassnahmen ist hierfür insbesondere der neue Artikel 12 des Energiegesetzes von Bedeutung. Denn darin werden die erneuerbaren Energien und deren Ausbau ab einer bestimmten Grösse als von nationalem Interesse bezeichnet. Was einigermassen lapidar daherkommt, ist von grosser Relevanz.
Denn damit wird das Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien anderen nationalen Interessen gleichgestellt. Konkret: Neu wird es u.U. auch möglich sein, in Gebieten, die im sogenannten Bundesinventar der geschützten Landschaften (BLN) aufgenommen sind, Wasser- oder Windkraftwerke zu erstellen.
Für Umweltschützer ist dies eine schmerzhafte Konzession, auch wenn Biotope und Schutzreservate absolut geschützt bleiben. So ist bei Pro Natura zu lesen: „Aus Natur- und Landschaftssicht begrüsst Pro Natura die Stärkung des Schutzes der Biotope von nationaler Bedeutung(…). Ein Wermutstropfen bleibt aus Landschaftsschutzsicht die unnötige Ausweitung der nationalen Bedeutung von Energieanlagen.“ Um anzufügen: „Alle Projekte bleiben allerdings weiterhin einer Interessenabwägung unterworfen.“
Genau diese Interessenabwägung – was ist nun wichtiger: der Ausbau der erneuerbaren Energien oder der Erhalt einer bestimmten Landschaft? – wird mit Sicherheit noch manche Instanz beschäftigen. Das Ziel des neuen Passus ist aber klar: Durch diese neue Gewichtung soll der Ausbau der Erneuerbaren bessere Chancen erhalten.
Insbesondere die Realisierung von Windparks wird in der kleinräumigen Schweiz anspruchsvoll bleiben, denn es prallen unterschiedliche Interessen aufeinander (siehe dazu auch den Bericht zur Windkraft bei CKW). Dabei geht es nicht nur um lärmgeplagte Anwohner oder Erschliessungsprobleme: Auch die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Vögel und Fledermäuse sind regelmässig ein Thema.
Für beide Tiergruppen sind Windanlagen potentiell gefährlich. Fledermäuse wie Vögel können mit den Rotorblättern kollidieren, weil sie die Rotation nicht erkennen oder einschätzen können. Bei guten Windbedingungen kann die Spitzengeschwindigkeit am äusseren Ende eines Rotorblatts immerhin über 200 km/h betragen. Kleineren Vögeln und Fledermäusen kann zudem der durch die Rotation verursachte starke Sog zum Verhängnis werden.
Wie gross ist das Problem für Vögel tatsächlich? Um der Antwort einen Schritt näher zu kommen, hat die Vogelwarte Sempach im Auftrag des Bundesamtes für Energie eine Studie im Gebiet der Windanlage Le Peuchapatte (JU) durchgeführt. Von März bis November 2015 wurde das Umfeld der Windanlage regelmässig und systematisch nach Schlagopfern abgesucht. Über die gleiche Zeitperiode wurden zudem quantitative Radarmessungen durchgeführt. Damit wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Intensität des Vogelzuges und der Häufigkeit von Schlagopfern gibt. Die Resulte zeigten, dass ein Zusammenhang besteht. Dieser ist aber im Detail komplexer als vermutet. Mit einer berechneten Kollisionsrate von gut 2% bzw. 20 Schlagopfern pro Windenergieanlage und Jahr fielen die Opferzahlen höher aus als erwartet. Verallgemeinert werden dürfen diese Zahlen allerdings nicht: „Die Ergebnisse dürften sich für in breiter Front ziehende Vögel, die nicht auf Thermik angewiesen sind, auf topografisch ähnliche Räume übertragen lassen. Die Übertragbarkeit auf alpine Standorte sowie für Standorte im Mittelland ist jedoch nicht gegeben“ schreibt die Vogelwarte dazu in ihrem Bericht.
Die einfachste Form, um die Gefährdung von Vögeln und Fledermäusen zu minimieren, wäre es, Standorte mit möglichst tiefem Artenaufkommen zu wählen und insbesondere Zugvogelkonzentrationen zu vermeiden. Ein Blick auf die Konfliktpotenzialkarte für ziehende Vögel zeigt: Der Alpenraum wäre demnach grundsätzlich am besten geeignet. Allerdings beruht die Karte auf einer Computermodellierung, die den Vogelzug im Alpenraum eher ungenau wiedergibt. Zudem fehlen in diesen Gebieten zumeist ohnehin die notwendigen Infrastrukturen wie Zufahrten und Ableitungen, was einen Bau von Windparks sowohl aus Kosten- wie aus Umweltschutzgründen faktisch verunmöglicht.
Hinzu kommt: Betrachtet man die analoge Karte betreffend Brut- und Gastvögel, so zeigt sich ein völlig anderes Bild:
Die Karten können daher nur als erste grobe Orientierungshilfe dienen. Wie bei jedem grösseren Projekt müssen auch bei konkreten Windkraft-Projekten die lokalen Gegebenheiten untersucht werden, u.a. um die Auswirkungen auf die Umwelt beurteilen zu können. Klar ist letztlich aber auch: Interessenskonflikte sind kaum zu vermeiden und die Interessenabwägung wird schwierig bleiben.
Die Schweizerische Vogelwarte Sempach überwacht die einheimische Vogelwelt, erforscht die Lebensweise der wildlebenden Vögel und geht den Ursachen der Bedrohung der Vogelwelt auf den Grund. Wir haben Stefan Werner, Ornithologe und Projektleiter „Windenergie und Vögel“, Fragen zum Thema Windenergie und Vogelschutz gestellt.
Stefan Werner, Windenergiegegner spielen die Zahlen der Schlagopfer hoch, Befürworter relativieren sie und verweisen auf die viel höheren, durch Hauskatzen verursachten Schäden. Was sagen Sie als Experte dazu?
Anhand der wenigen zuverlässigen Untersuchungen zur Anzahl Schlagopfer lässt sich keine Prognose für die gesamte Schweiz erstellen. Dazu kommt, dass die blosse Anzahl Kollisionsopfer nicht das einzige Mass ist für die Probleme, welche Windenergieanlagen (WEA) für einzelne Vogelarten darstellen können. Insbesondere bei langlebigen Vögeln mit geringer Fortpflanzungsrate wie zum Beispiel Bartgeier, Uhu und Rotmilan können schon wenige Todesfälle mehr pro Jahr zum Verschwinden führen. Der Verweis auf andere Gefahren für Vögel entbindet uns nicht von der Aufgabe, uns mit den Konsequenzen der Windenergienutzung für die Vögel auseinanderzusetzen.
In der Studie in Le Peuchapatte sind Sie auf eine höhere Schlagopferzahl gekommen als erwartet. Ist damit die Windenergie auf den Jurahöhen in Frage gestellt?
Das Hauptproblem von WEA sind der Lebensraumverlust und die Störung der Vögel während Bau und Betrieb. Wie auch an anderen Orten kommt im Jura das Problem der Kollisionen hinzu. Es ist unerlässlich, dass jeder Standort einzeln sorgfältig betrachtet und auf ungeeignete Standorte verzichtet wird. Ziel muss sein, die Windenergienutzung so zu gestalten, dass die Schweizer Vogelwelt nicht noch mehr unter Druck gerät.
Was hat Ihre Studie ergeben, welche Vogelarten sind primär betroffen? Gibt es einen Grund dafür?
Betroffen waren hauptsächlich kleine Singvogelarten, die in der Nacht ziehen – darunter vor allem Sommer- und Wintergoldhähnchen. Das sind die beiden kleinsten europäischen Vogelarten. Die Gründe dafür sind noch unbekannt.
Ein Thema sind auch Ausgleichsmassnahmen, um die Populationen andernorts zu erhöhen und damit die „Ausfälle“ zu reduzieren. Was ist hier möglich?
Ausgleichsmassnahmen sind schwierig umzusetzen und nur selten erfolgsversprechend. Lebensräume sind rasch zerstört, aber die Aufwertung eines Lebensraums an einem anderen Ort benötigt Jahre. Gewisse Lebensraumelemente, wie zum Beispiel traditionelle Balzplätze von Auerhühnern, sind nicht ersetzbar. Zudem sollten Ausgleichsmassnahmen unmittelbar der Vogelart zu Gute kommen, die betroffen ist. Das Anlegen eines Weihers zur Förderung von Amphibien kann aus unserer Sicht nicht als Ausgleich für verunglückte Singvögel gelten.
In Ihrer Studie von 2013 empfehlen Sie ein adaptiertes, auf die Vogelzugintensität abgestimmtes Betriebsregime. Ist ein solches Regime in der Schweiz schon im Einsatz?
Nach unseren Kenntnissen ist bis jetzt noch kein automatisches System im Einsatz, das den Betrieb von Windturbinen in Abhängigkeit der Vogelzugintensität steuert. Ein Gerät, das zu diesem Zweck in Zusammenarbeit mit der Vogelwarte entwickelt worden ist, wurde bis jetzt noch nicht an einen Windpark gekoppelt betrieben.
Mit dem neuen Energiegesetz wird der Schutz der BLN Gebiete aufgeweicht. Was bedeutet das für das Vogelland Schweiz?
Auch nach Annahme des Energiegesetzes muss bei Projekten zur Windenergienutzung eine Interessenabwägung vorgenommen werden, und die Energiegewinnung muss die gesetzlichen Vorgaben zum Natur- und Landschaftsschutz einhalten. Die Schweizerische Vogelwarte ist überzeugt, dass in der Schweiz die Windenergie genutzt werden kann, ohne dass die Rote Liste der bedrohten Brutvogelarten länger wird.
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