29.07.2024 | Es gibt weiterhin viel zu tun
Das erste Halbjahr 2024 war gezeichnet von der Abstimmung zum Stromgesetz und dessen Umsetzung auf Verordnungsstufe. Daneben wurden zahlreiche weitere Vorlagen vorangetrieben oder angestossen. Ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen.
Das Volk hat am 9. Juni das Stromgesetz mit 68.7% angenommen und stellt sich damit klar hinter den Ausbau erneuerbarer Energien. Nach Annahme des Gesetzes müssen bis zum Inkrafttreten am 1. Januar 2025 aber noch zahlreiche Details auf Verordnungsstufe geregelt werden. Der Bundesrat hat seine Vorschläge in einem umfassenden Paket an Verordnungsrevisionen - bereits vor der Abstimmung - von Februar bis Ende Mai in die Vernehmlassung geschickt.
Axpo und die Strombranche haben ausführlich zum Verordnungspaket Stellung genommen (vgl. Axpo Stellungnahme). Es zeigt sich, dass an vielen Stellen noch Unklarheiten und Bedarf für Anpassungen bestehen. Insbesondere braucht es eine konsequentere Ausrichtung auf die ambitionierten Zubau-Ziele des Stromgesetzes, z.B. ausreichend Investitionssicherheit für Projektanten. Es liegt nun am Bundesrat bis zur finalen Version der Verordnungen (vorauss. Ende November) entsprechende Verbesserungen vorzunehmen.
Beschleunigungsvorlagen – das Stromnetz ausreichend mitdenken
Im Juni hat die Energiekommission des Ständerates die Vorlage zur Beschleunigung der Bewilligung von Stromproduktionsanlagen diskutiert. Sie wurde im Dezember letzten Jahres erstmals im Nationalrat behandelt und soll im Herbst nun in den Ständerat kommen. Mit der Vorlage sollen grosse Produktionsanlagen neu u.a. mit einem kantonalen Plangenehmigungsverfahren und damit schneller bewilligt werden.
Ebenfalls Anfang Juni hat der Bundesrat die Vernehmlassung einer zusätzlichen Vorlage zur Beschleunigung der Bewilligungsverfahren der Stromnetze gestartet. Durch gesetzliche Anpassungen sollen insbesondere Aus- und Umbau des Übertragungsnetzes beschleunigt werden. Weitere Vorschläge für Verbesserungen auf Verordnungsstufe folgen im Herbst.
Die Stossrichtung dieser Vorlagen ist zu begrüssen. Die Bewilligung von Produktionsanlagen und Stromnetzen kann heute 15 Jahre oder mehr in Anspruch nehmen. Das ist mit Blick auf die zukünftige Versorgungssicherheit deutlich zu langsam. Die Vorlage zur Beschleunigung der Produktionsanlagen hat der Nationalrat durch Einführung einer Zustimmung der Gemeinden (im eigentlich kantonalen Verfahren) allerdings bereits wieder etwas entschleunigt. Beiden Vorlagen klammern bisher den Netzanschluss der Produktionsanlagen sowie die Verteilnetze aus. Beides sind zentrale Elemente zum Ausbau erneuerbarer Energien. Auch für deren Bewilligung braucht es dringend Vereinfachungen.
Reservekraftwerke – herausfordernde Rahmenbedingungen
Anfang März hat der Bundesrat eine Vorlage ans Parlament überwiesen, welche das Stromgesetz um (fossile) Reservekapazitäten ergänzt. Als Absicherung gegen Engpässe in ausserordentlichen Situationen sollen die in der Energiekrise per Verordnung etablierten, temporären Reservekapazitäten (d.h. Reservekraftwerke, Notstromaggregate und Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen) langfristig auf eine ordentliche Gesetzesgrundlage gestellt werden. Die Vorlage wird zurzeit in der Energiekommission des Nationalrates diskutiert.
Ende Mai hat das Bundesamt für Energie kommuniziert, dass die seit Mitte letzten Jahres laufende Ausschreibung neuer Reservekraftwerke für die Zeit nach 2026 abgebrochen wurde. Hintergrund waren die aus Sicht des Bundes zu hohen Kosten; man wolle nun die Rahmenbedingungen prüfen und Direktverhandlungen aufnehmen.
Es wird sich zeigen, ob diese (vorerst) fossilen Reserven, welche grundsätzlich als Versicherung stillstehen, aber im seltenen Einsatz CO2 ausstossen würden, politisch akzeptiert werden. Möglichkeiten zur CO2-Reduktion bei einem Einsatz bestehen (z.B. Filter, zukünftige Umstellung auf erneuerbare Energieträger), sie sind aber entsprechend teuer. Solche Vorgaben sind auch Kostentreiber in der abgebrochenen Ausschreibung.
Regulierung der Grosshandelsmärkte – Nachzug mit beschränkter Wirkung
Im Juni hat der Nationalrat das erste Mal über ein neues Bundesgesetz zur Aufsicht und Transparenz der Energiegrosshandelsmärkte (BATE) beraten. Die Vorlage stellt ein Nachzug der europäischen Gesetzgebung dar, welcher Schweizer Stromunternehmen mit internationalem Handelsgeschäft wie Axpo bereits unterstellt sind und deren Vorgaben sie einhalten. Die Einführung von BATE in der Schweiz muss insbesondere harmonisiert mit den EU-Vorgaben erfolgen, es gilt ein Swiss-Finish mit zusätzlichen Marktbarrieren zu vermeiden. Die Vorlage zielt auf die Marktintegrität ab und hat keinen Bezug zum Thema Versorgungssicherheit.
Anforderungen an «systemrelevante» Stromunternehmen –Hemmnisse für Zubau verhindern
Von März bis Mitte Juni lief die Vernehmlassung eines Entwurfs für Anforderungen an «systemrelevante» Stromunternehmen. Der Bundesrat hatte diesen als Folge eines Auftrags des Parlaments im Zusammenhang mit der Energiekrise präsentiert. Gemäss Entwurf sollen acht grosse Stromproduzenten zusätzliche Anforderungen an die Organisation und das Risikomanagement erfüllen sowie für alle relevanten Szenarien jederzeit über ausreichend Liquidität und Eigenkapital verfügen. Der Bund und die Eidgenössische Elektrizitätskommission machen Vorgaben und führen Prüfungen durch.
Die vom Bund geplanten Bestimmungen sind international ohne Vergleich, was Wettbewerbsnachteile für Schweizer Unternehmen impliziert. Während ein Fokus auf Liquidität konzeptionell nachvollziehbar ist, sind Eigenkapitalvorgaben nicht zielführend. Vorgaben zu Liquidität und Eigenkapital bergen in jedem Fall das Risiko, das Gelder beiseitegelegt werden müssen, anstatt in den Ausbau erneuerbarer Energie zu investieren. Eine detailliertere Einschätzung zu diesem komplexen Thema findet sich im Axpo Magazinbeitrag.
Kapitelverzinsung der Stromnetze – Der falsche Zeitpunkt für Experimente
Mitte Juni hat der Bundesrat eine Vernehmlassung zur Anpassung der Methodik für die regulatorische Verzinsung (WACC) des in die Netze investierten Kapitals gestartet. Auf politischen Druck hin soll der WACC gezielt gesenkt werden, indem die Risikovergütung (resp. Marktrisikoprämie) für Netzbetreiber und damit auch deren Gewinn reduziert wird. Zudem werden Untergrenzen in der Methodik entfernt, so dass der WACC in Tiefzinsphasen stärker sinken würde. Weil die gleiche Methode auch zur Berechnung der Unterstützung für erneuerbare Energien verwendet wird, würde sich die Anpassung in Tiefzinsphasen auch negativ auf die Förderung auswirken.
Die Anpassung der seit langem bewährten Methode führt zu Unsicherheiten für Investoren und steht im Widerspruch zum notwendigen Netzausbau, welcher durch die ambitionierten Ziele des Stromgesetzes weiter erhöht wird. Die Einführung einer experimentellen Methode verringert die Investitionssicherheit. Die negativen Folgen stehen in keinem Verhältnis zum sehr geringen Effekt auf die Stromtarife.
Fazit – Fokus auf grössere Schritte bei Kernthemen
Die lange Liste zeigt, dass im Bereich der Strommarktregulierung auch im Jahr 2024 weiterhin viel Dynamik besteht. Neben den Kernthemen für die Versorgungssicherheit, d.h. dem Stromgesetz, Beschleunigungsvorlagen und den Reservekraftwerken, haben sich mit weiteren Themen wie Anforderungen an «systemrelevante» Stromunternehmen und der Anpassung der WACC-Methodik Nebenschauplätze aufgetan.
Behörden und Politik sollten sich darauf konzentrieren, bei den Kernthemen noch grössere Schritte vorwärts machen. Es braucht weitere Verbesserungen der Rahmenbedingungen für den Zubau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig gilt es negative Effekte auf die Investitionssicherheit durch parallele Entwicklungen zu verhindern. Es gibt weiterhin viel zu tun.
Zeitplan und Links