26.08.2020 | Der Elektroauto-Boom in Deutschland mischt die Strombranche auf

Wird Tesla zum PPA-Kontrahenten?

Man reibt sich verwundert die Augen: Die Deutschen kaufen in der Coronakrise plötzlich immer mehr Autos mit E-Antrieb! Johannes Pretel von Axpo Deutschland erklärt, welche Auswirkungen der jüngste Boom der Elektroautos für den deutschen Strommarkt haben könnte – und wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass grosse Player wie Tesla selbst den Sprung in lukrative Geschäftsfelder wie das PPA-Business, Stromlieferungen oder Netzdienstleistungen wagen könnten.

Die Coronakrise hat die deutsche Autobranche ins Mark getroffen. Wie hart der Absturz ist, lässt sich anhand von Zahlen belegen: Die Verkäufe sind im ersten Halbjahr 2020 insgesamt um 30 Prozent eingebrochen. Doch es gibt in der Krise auch eine Entwicklung, die wohl niemand vorhergesehen hätte: Ausgerechnet die in Deutschland lange verschmähten E-Autos haben jüngst massiv zugelegt.

Dreimal so viele E-Autos wie vor einem Jahr

Ist das der Startschuss für den Boom der Elektroautos auf dem grössten Automarkt Europas? Gut möglich: Deutsche Autoexperten rechnen für 2020 mittlerweile mit einem Absatz von 250 000 E-Autos zwischen der Zugspitze und der Nord- und Ostsee – das entspräche einem Marktanteil von immerhin 8,9 Prozent. Dass der Trend in diese Richtung gehen könnte, zeigen die Zahlen der Neuzulassungen der mittlerweile ziemlich beliebten Plug-in Hybride und der reinen Elektroautos im vergangenen Juli – gerade Letztere haben sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht, von 5963 auf 16 798 Neuzulassungen. Der Anteil der Stromer an allen neu zugelassenen Autos in Deutschland stieg innerhalb eines Jahres von 1,8 auf 5,3 Prozent.

Diverse Gründe für den Boom

Aber warum ausgerechnet jetzt, mitten in der Coronakrise? Einer der Hauptgründe dürfte die Kaufprämie der deutschen Bundesregierung im Rahmen des Corona-Konjunkturprogramms sein, welche die Nachfrage nach E-Autos verstärkt. Hinzu kommt die reduzierte Mehrwertsteuer – ebenfalls eine Massnahme der Politik, um die Konsumlaune der Deutschen nach dem Lockdown im Frühjahr wieder anzukurbeln. Zudem haben die Hersteller von E-Autos in den vergangenen Monaten attraktive Leasingangebote auf den Markt gebracht.

Tesla erstaunlicherweise schwach

Wie schnell der beachtliche Zuwachs der Stromer kam, ist dennoch überraschend. Genauso wie die Tatsache, dass ausgerechnet der Pionier Tesla bisher nicht von diesem positiven Umfeld in Deutschland profitieren kann. Die Käufer greifen nämlich in erster Linie bei günstigen Modellen zu, wie etwa E-Kleinwagen und Fahrzeugen aus der Kompaktklasse. Tesla hingegen konnte im Juli in Deutschland gerade einmal 154 Neuzulassungen beim Model 3 verzeichnen, die grösseren Modelle X und S wurden noch seltener gekauft.

E-Autos sind nur mit Grünstrom umweltfreundlich

Was bedeutet die Entwicklung für die Strombranche in Deutschland? Wird in Zukunft nicht nur von grossen energieintensiven Industrieunternehmen, sondern auch von Elektroauto-Besitzern immer mehr Grünstrom verlangt, damit sie ihre Autos wirklich umweltfreundlich aufladen und fahren können?

«Klar ist: Solange ein E-Auto mit Strom aus Braunkohle unterwegs ist, ist es mit der Umweltfreundlichkeit nicht weit her,» sagt Johannes Pretel, Head Origination bei Axpo Deutschland in Düsseldorf. Darum dürfte tatsächlich mit einer verstärkten Nachfrage nach Strom aus Windkraft und aus Solaranlagen zu rechnen sein. Ein Weg sei, vermehrt auf Herkunftsnachweise für grünen Strom zu setzen, um das CO2 aus der Stromkennzeichnung in Deutschland zu verdrängen – das sei schliesslich zertifizierbar.

Johannes Pretel, Head Origination bei Axpo Deutschland in Düsseldorf
PPA auch für E-Autos?

Spannender – und auch umweltfreundlicher – sei es für Stromkonsumenten aber grundsätzlich, den Grünstrom mittels PPA (Power Purchase Agreements) von Windparks oder Solaranlagen zu beziehen, so Johannes Pretel: «Mit einem PPA ist zum ersten Mal überhaupt eine physische Kopplung in Deutschland in grösserem Umfang möglich und der Grünstrom fliesst direkt dorthin, wo er konsumiert wird. Diesen direkten Mehrwert gibt es nur mittels PPA.»

Gerade für die Fahrzeugflotte grosser Unternehmen könnte dies eine attraktive Lösung zu sein, um die E-Autos umweltfreundlich aufzuladen. Inwiefern sich die langfristigen Stromabnahmeverträge auch im Bereich der Privatkunden eignen, sei hingegen noch Zukunftsmusik. Letztlich wäre es da zumindest heute und in naher Zukunft noch naheliegender, auf den Strom aus der eigenen Solaranlage auf dem Dach des Eigenheimes zu setzen, sofern eine solche vorhanden ist.

Windkraft und Solarenergie muss ausgebaut werden

Bleibt die Frage, ob Deutschland überhaupt über genügend Strom aus Windkraft und Photovoltaik verfügt, um den durch die zunehmende Anzahl E-Autos steigenden Bedarf abdecken zu können.

Johannes Pretel dazu: «Es gäbe in Deutschland schon genügend Grünstrom für die E-Autos, aber dann würde die Industrie weniger umweltfreundlichen Strom abbekommen – und das würde den Nachhaltigkeitszielen der Unternehmen widersprechen, die ja schon seit einiger Zeit sehr grosses Interesse an PPA zeigen. Deshalb führt an einem Ausbau der Kapazitäten im Bereich der Windkraft und der PV-Anlagen definitiv kein Weg vorbei. Gerade die Windenergie steckt aber hierzulande derzeit in einer Blockade, da muss viel mehr zugebaut werden.»

Netzstabilität als Herausforderung

Ebenfalls herausfordernd dürfte es werden, die Netze und Infrastruktur aufrecht zu erhalten bzw. auszubauen. Die Verteilung des Stroms sei sogar eine schwierigere Aufgabe als die reine Grünstromlieferung, so Johannes Pretel: «Da steckt der Teufel im Detail. Anders als in Deutschland gibt es zum Beispiel in Skandinavien viele IT-basierte Anbieter, weil es das dortige Strommarkt-Design ermöglicht, dezentrale Anlagen direkt einzubinden.»

Als kleine dezentrale Anlagen könnten auch die E-Autos selbst ins Spiel kommen – und die steigende Anzahl Ladestationen, die an Tankstellen neben den herkömmlichen Zapfsäulen für Benzin und Diesel immer häufiger zu finden sind. Eine Frage, die hauptsächlich die Städte, Kommunen und deren Stadtwerke betrifft, die zum wichtigsten Kundenkreis von Axpo Deutschland gehören.Johannes Pretel erläutert: «Sie müssen sich die Sache kritisch anschauen und die richtigen Entscheidungen treffen, wenn es um die Flexibilität und Stabilität im Netz geht. Zurzeit gibt es da noch eine sehr unübersichtliche Landschaft, aber das Thema wird an Bedeutung stark zunehmen.»

Tesla Gigafactory, Berlin Grünheide. Quelle: dpa
Wird Tesla zum Mitbewerber für grosse Energiekonzerne?

So stark, dass auch grosse Player wie Tesla interessiert sein könnten, auf dem deutschen Markt im Bereich der Grünstromlieferungen, PPA und Netzdienstleistungen aktiv zu werden?

Immerhin baut das US-amerikanische Unternehmen von Elon Musk derzeit eine riesige Autofabrik im brandenburgischen Grünheide bei Berlin, die im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden soll. Da wäre es doch denkbar, dass Tesla mittelfristig auch in weitere Bereiche ausserhalb der Fertigung von E-Autos vorstossen und die bisherigen Platzhirsche aus der Energiebranche angreifen möchte?

Johannes Pretel glaubt nicht daran: «Ich denke eher, dass Tesla daran interessiert sein dürfte, seine grünen Services rund um E-Autos auszubauen. Da bedienen sie eine ganz spezielle Klientel. Um einen Schritt weiterzugehen und zum Beispiel Netzdienstleistungen mit Hilfe von E-Autos und Ladestationen anbieten zu können, ist die Anzahl der Autos die matchentscheidende Grösse. Und da sehe ich in den nächsten drei bis vier Jahren trotz des jüngsten Zuwachses an Elektroautos noch keine Möglichkeit, zumal aktuell offensichtlich preiswerte Kleinwagen gefragt sind.»

Risk Management kann nicht jeder

Auf die Frage, ob Tesla denn in Deutschland zum Grünstromlieferanten und PPA-Anbieter werden könnte, hat Johannes Pretel ebenfalls eine klare Antwort: «Sicherlich besteht die Möglichkeit, sich als branchenfremdes Unternehmen ein gewisses Know-how im Bereich der Energiewirtschaft aufzubauen. Aber das ist längst nicht alles, was man braucht, um in unserer Branche erfolgreich sein zu können: Gerade im PPA-Business ist es ganz entscheidend, dass man das Risikomanagement im Griff hat.»

Die zahlreichen Risiken gelte es zu hedgen: «Wir sprechen da von Zeiträumen bis zu 15 Jahren – und alle Beteiligten brauchen die Sicherheit, dass die Gegenpartei auch dann noch auf dem Markt ist. All dies zu managen kann beileibe nicht jedes Unternehmen, denn die PPA-Abschlüsse sind nicht nur langfristig ausgerichtet, sondern auch sehr komplex mit vielen Stellschrauben, die ganz individuell auf die Bedürfnisse des Kunden angepasst werden müssen.»

PPA-Geschäft in Deutschland wieder auf dem Vormarsch

Dem PPA-Geschäft in Deutschland bescheinigt Johannes Pretel derweil trotz der Coronakrise gute Aussichten. Die gesunkenen Preise am Terminmarkt, die im Frühjahr 2020 zu sehen waren, hätten dazu geführt, dass der Abschluss von PPA besonders für die Investoren und Erzeuger von Grünstrom nicht mehr attraktiv genug gewesen sei. Das habe dazu geführt, dass Corona wie eine Bremse gewirkt habe und viele bereits geplante Abschlüsse aufgeschoben wurden – «aber nicht aufgehoben», so der PPA-Experte präzisierend.

«Hinzu kommt, dass viele Industriebetriebe in den vergangenen Monaten ganz andere Sorgen hatten als das Thema PPA. Das war trotz der tiefen Preise nicht ihre oberste Priorität. Jetzt aber sind die Preise wieder deutlich gestiegen und auf einem Niveau angelangt, wo es für beide Seiten spannend wird. Der Preis für Strom Baseload muss gegen 50 Euro/MWh gehen, damit es langfristig und nachhaltig klappt. Mittlerweile hat der PPA-Markt sowohl auf der Erzeugerseite als auch auf der Abnehmerseite wieder Fahrt aufgenommen», ergänzt Johannes Pretel.

Axpo Deutschland gut aufgestellt

Klar, dass sich auch Axpo Deutschland einen Teil von diesem PPA-Kuchen abschneiden möchte: «Es ist eine Tatsache, dass der deutsche Markt aufgrund der langjährigen Subventionen mittels EEG im Vergleich zu anderen europäischen Länder hinterherhinkt, was das PPA-Geschäft abgeht. Aber das ist auch eine Chance, denn jetzt lässt sich das Ganze endlich marktfähig gestalten und wir profitieren dabei natürlich vom Know-how und den Erfahrungen unserer Axpo Kollegen aus den anderen Ländern in Europa und den USA.»

Oberste Maxime sei es dabei, die Kundenbedürfnisse zu erkennen und entsprechende Lösungen anzubieten: «Der Konsument möchte richtigen Grünstrom haben – sei es für seine Fabrik oder für sein Elektroauto. Hier müssen wir ansetzen, die dazu passenden Services und Produkte auf den Markt bringen und auch Aufklärungsarbeit leisten, gerade was die finanziellen Risiken eines Produkts angeht. Die Kunden müssen verstehen, was sie bei uns bekommen, und den Markt besser einschätzen lernen», erklärt Johannes Pretel.

Die Richtung stimmt aber auf jeden Fall, so der PPA-Experte abschliessend: «Wir müssen dem Markt die Zeit geben, damit er sich finden kann. Dann werden wir auch in Deutschland sehr viel mehr PPA sehen als bisher.»

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