31.05.2024 | EU Gasbinnenmarkt: Mehr grüne & kohlenstoffarme Moleküle

Gasdekarbonisierungs- und Wasserstoffpaket formal angenommen

Nach dem Europäischen Parlament hat nun auch der Rat das Gasdekarbonisierungs- und Wasserstoffpaket formal angenommen. Es ist Teil des Fit-for-55-Pakets und dient der Verringerung der Treibhausgasemissionen der EU um 55% bis 2030. Hierzu soll Erdgas u. a. durch grünen Wasserstoff und Biogas ersetzt werden. Die Regeln für den Aufbau einer Europäischen Wasserstoffwirtschaft betreffen auch den Import von grünem Wasserstoff aus Drittstaaten, z. B. der Schweiz. 

Das am 15. Dezember 2021 von der Europäischen Kommission vorgelegte Erdgaspaket hatte ursprünglich nur die Dekarbonisierung des EU-Gasbinnenmarktes zum Ziel. Kernelement ist der Aufbau einer Europäischen Wasserstoffwirtschaft einschliesslich der zugehörigen Infrastruktur. Im Zusammenhang mit der Gas-Krise seit Februar 2022 hat die EU-Notmassnahmen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Erdgas verabschiedet: Diese werden durch das Gasdekarbonisierungs- und Wasserstoffpaket verstetigt. 

Aufbau einer Europäischen Wasserstoffwirtschaft

Mit dem Paket wird das EU-Recht zum Gasbinnenmarkt von 2009 aktualisiert. Neu eingeführt werden u. a. spezifische Regeln für den Transport, die Verteilung und Speicherung von Wasserstoff und die Gründung einer eigenständigen Agentur für Betreiber von Wasserstoffinfrastruktur - ENNOH - in Anlehnung an die Verbände der Übertragungsnetzbetreiber Strom (ENTSO-E) und der Fernleitungsnetzbetreiber Erdgas (ENTSOG).  Ausserdem soll der Europäische Verband der Verteilnetzbetreiber (EU-DSO-entity) sich zukünftig auch um Erdgas- und Wasserstoffverteilnetze kümmern (bisher nur Stromverteilnetze).

Ein zentraler Aspekt des Pakets ist die integrierte Netzplanung: Gas- und Wasserstoffnetzbetreiber müssen einen 10-Jahres-Entwicklungsplan für die EU vorbereiten. Kleinere Anlagen, die mit dem Verteilernetz verbunden sind, sollen gleichberechtigten Zugang zu den Grosshandelsmärkten erhalten. Langfristig ist eine Umwidmung der heutigen Gasinfrastruktur zu einer Wasserstoffinfrastruktur angedacht. 

Grenzüberschreitender Handel mit erneuerbaren und kohlenstoffarmen Molekülen

Das Paket sieht die Möglichkeit von Vergünstigungen für den grenzüberschreitenden Handel mit erneuerbaren und kohlenstoffarmen Molekülen vor. Dazu gehören Rabatte auf Eintrittstarife und die Abschaffung von Grenztarifen im Netz. Um den Markt dafür anzukurbeln, wird ein Zertifizierungssystem auf der Grundlage einer EU-weiten Datenbank eingeführt. 

Gemeinsamer Gaseinkauf 

Die als Notmassnahme eingeführte Plattform für den gemeinsamen Erdgaseinkauf auf EU-Ebene (AggregateEU) wird durch das Paket ebenfalls verstetigt; bis Ende 2025 ist der Erwerb russischen Gases hierüber ausgeschlossen. Die Plattform soll ab 2030 auch zum Erwerb von Wasserstoff zum Einsatz kommen. 

Lieferungen mit Lieferort Schweiz können vorerst nicht über die Plattform beschafft werden

Im Hinblick auf das Grosshandelsgeschäft gilt ein Verbot von langfristigen Erdgaslieferverträgen mit einer Laufzeit über den 31. Dezember 2049 hinaus; die EU befürchtet, dass sehr lange Verträge die Umstellung auf erneuerbare und kohlenstoffarme Moleküle erschweren und die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 gemäss European Green Deal verhindern.

Im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, sieht das Paket auch die Möglichkeit vor, dass EU-Mitgliedsstaaten den Import von russischem Gas via Rohrleitung oder Flüssiggas auf ihr Staatsgebiet unterbinden, vorausgesetzt dies führt nicht zu einer Verschlechterung der Versorgungssicherheit in anderen EU-Mitgliedsstaaten. 

Verbesserter Verbraucherschutz

In Anlehnung an die Regeln für einen verbesserten Verbraucherschutz aus dem Strombereich, wird den EU-Mitgliedsstaaten neu die Möglichkeit eingeräumt, für Haushaltskunden, sozialen Einrichtungen und KMUs während einer Erdgaspreiskrise regulierte Preise unter Marktpreis einzuführen. Ähnlich wie im Strombereich soll zukünftig der Anbieterwechsel schneller möglich sein: Ab 2026 innerhalb von 24 Stunden.  

Einschätzung und Auswirkung auf die Schweiz   

Gemäss EU-Wasserstoffstrategie sollen bis 2030 40 GW Leistung an erneuerbaren Wasserstoff-Elektrolyseuren errichtet und eine Jahresproduktion von 10 Millionen Tonnen grünem Wasserstoff pro Jahr erreicht werden.  Zum Vergleich: Stand September 2023 waren rund 280 MW Elektrolysekapazität in Betrieb. Heute dürfte diese Zahl bereits höher liegen. 

Ob diese anspruchsvollen Zielen erreicht werden können, wird sich zeigen. Strittig ist unter anderem die Abgrenzung von erneuerbarem von kohlenstoffarmem und insbesondere pinkem – also mit Strom aus Kernkraftwerken erzeugtem – Wasserstoff. Hier muss die EU noch die erforderlichen untergesetzlichen Regelwerke vorlegen: EU-Mitgliedsstaaten, die auf Kernkraft oder CO2-Abscheidung und Speicherung (Carbon capture and storage / CCS) setzen, erhoffen sich hiervon Impulse für die Produktion von Wasserstoff auf der Grundlage der entsprechenden Technologie. Der delegierte Rechtsakt für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff (Renewable fuels of non-biological origin / RFNBO) war bereits im Juli 2023 in Kraft getreten.

In das am 8. März 2024 veröffentlichte, endgültigen Verhandlungsmandat der Schweiz im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen mit der EU wurde zwischenzeitlich die Forderung nach einer Evolutivklausel aufgenommen, die die Aufnahme von Verhandlungen über den Wasserstoffbereich ermöglichen soll, sofern dies im Interesse der Schweiz liegt. Aufgrund ihrer zentralen geografischen Lage in Europa, könnte die Schweiz nicht nur bei Strom und Erdgas, sondern auch beim Wasserstoff zur europäischen Drehscheibe werden. 

Nächste Schritte

Mit der Veröffentlichung des Pakets im Gesetzesblatt ist bis Sommer zu rechnen. Die Verordnung tritt sechs Monate nach der Veröffentlichung in Kraft und ist unmittelbar anwendbar. Bei der Richtlinie haben die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um ihre nationalen Gesetzgebungen an die Bestimmungen der Richtlinie anzupassen.  

 

Weiterführende Informationen:

Verordnung (Fassung vom 7. Mai 2024)

https://data.consilium.europa.eu/doc/document/PE-105-2023-INIT/en/pdf

Richtlinie (Fassung vom 7. Mai 2024)

https://data.consilium.europa.eu/doc/document/PE-104-2023-INIT/en/pdf 

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