16.05.2023 | Es helfen nur geeignete Rahmenbedingungen für schnellen Zubau
Stromimporte werden für die Schweiz auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, doch die Abhängigkeit darf nicht zu hoch werden. Dies bedeutetet: Die Schweiz braucht viel zusätzlichen Winterstrom. Eine schnelle Lösung gibt es leider nicht. Es wäre aber wichtig, sofort geeignete Rahmenbedingungen für den Zubau von mehr sowie der richtigen Anlagen zu schaffen. So könnte ein geeigneter Ansatz aussehen.
Die Schweiz braucht dringend mehr Winterstrom. Im Hinblick auf die Abschaltung der Kernkraftwerke und die ansteigende Stromnachfrage als Folge der Dekarbonisierung droht eine hohe Importabhängigkeit im Winterhalbjahr. Gleichzeitig verliert die Schweiz aufgrund des fehlenden Stromabkommens immer mehr den Anschluss an den europäischen Strommarkt, was eine Importstrategie umso risikoreicher macht. Doch wie kommt die Schweiz zu diesem Winterstrom? Dazu gibt es verschiedene Ansätze.
Vor dem Hintergrund der angespannten Situation an den Energiemärkten hat der Bund ab Winter 22/23 per Verordnung verschiedene Winterreserven etabliert. Dazu gehören die Wasserkraftreserve, temporäre fossile Reservekraftwerke und über sog. Pooler aggregierte Notstromgeneratoren. Die Reserven sollen zukünftig auch gesetzlich verstetigt werden. Reserven haben eine wichtige, aber auch sehr spezifische Rolle: Sie nehmen nicht am Markt teil, sondern wappnen die Schweiz gegen kurzzeitige Versorgungsengpässe, beispielsweise bei grösseren Ausfällen oder temporären Importbeschränkungen. Hingegen sind die Reserven nicht geeignet, zusätzlichen Winterstrom im Hinblick auf das steigende Importvolumen zu generieren. Die Wasserkraftreserve entzieht dem Markt grundsätzlich Strom, da Wasser in Erwartung allfälliger Engpässe zurückgehalten anstatt turbiniert wird. Die fossilen Reservekraftwerke liefern zwar zusätzlichen Strom, aber entsprechend ihrem Zweck erst bei einem akuten Marktversagen. Ein vor- resp. frühzeitiger Einsatz birgt hingegen das Risiko von Marktverzerrungen und würde die CO2-Bilanz der Schweiz massgeblich verschlechtern.
Die zweite Idee klingt gut: Man nimmt den überschüssigen Strom von Solaranlagen im Sommer und verlagert ihn in den Winter. Strom in ausreichendem Volumen zu speichern ist aber mit enormen Hürden konfrontiert.
Bestehende Speichertechnologien wie beispielsweise grosse Batteriespeicher oder Pumpspeicherkraftwerke eignen sich vor allem für den täglichen oder wöchentlichen Ausgleich. Ihre Stärke ist die kurzfristige Flexibilität, das Speichervolumen ist hingegen limitiert. Grosse Speicherwasserkraftwerke haben zwar generell mehr Volumen, sie speichern aber insbesondere eigene Wasserzuflüsse und nicht Strom aus dem Netz. Zudem ist ihr Ausbaupotential bereits grösstenteils ausgeschöpft.
Eine zukünftige Lösung für den saisonalen Ausgleich könnte die Umwandlung des Stroms in Wasserstoff mit anschliessender Rückverstromung sein. Bis die Wirtschaftlichkeit eines solchen Prozesses gegeben ist, wird es aber noch eine Weile dauern. Zum einen ist die Amortisation der Investitionen in Wasserstoffproduktion heute nur bei einem Dauerbetrieb realistisch. Für Rückverstromung müsste gleichzeitig auch in Wasserstoffspeicher und entsprechende Kraftwerke investiert werden. Zum anderen kommen bei Wasserstoffproduktion und anschliessender Rückverstromung aufgrund der Umwandlungsverluste nur noch ca. 25% der ursprünglichen Energie wieder im Netz an. Die vom Nationalrat im Mantelerlass vorgesehene Netzentgeltbefreiung bei Rückverstromung oder Pilotprojekten wird diesbezüglich kaum ausreichen. Gleichzeitig täte die Schweiz gut daran, im Hinblick auf die langfristig wichtige Rolle von Wasserstoff möglichst schnell geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Die EU macht es vor, z.B. mit der Überarbeitung der Gasdirektive oder Förderung von Wasserstoffproduktion über die sog. Wasserstoffbank.
Der Mantelerlass sieht verschiedene Verbesserungen für den Zubau erneuerbarer Energien vor (vgl. Axpo-Einschätzung zum aktuellen Stand). Bezüglich Winterstrom gibt es aber insbesondere bei zwei Themen noch Optimierungsbedarf.
Erstens sollte der Anteil an Winterstrom bei den Förderinstrumenten besser berücksichtigt werden. Die Einmalvergütungen werden anhand der Spitzenleistung festgesetzt und berücksichtigen damit nicht die saisonal schwankende Produktion der Anlage. Auf Verordnungsstufe gibt es zwar grobe Ansätze wie z.B. einen «Höhenbonus» für Solaranlagen. Damit wird der Mehrwert von grossen Anlagen mit hohem Winterstromanteil aber nicht ausreichend abgebildet. Bezüglich dem Förderinstrument der gleitenden Marktprämie hat sich der Nationalrat in den Beratungen zum Mantelerlass gegen den vom Ständerat geplanten Winterbonus ausgesprochen. Ein politisches Signal für Winterstrom und entsprechende gesetzliche Bestimmungen wären aber wichtig.
Zweitens sollte die Bewilligungsfähigkeit von Anlagen mit hohem Anteil an Winterstrom sichergestellt werden. Hierzu fehlen in den politischen Arbeiten jedoch insbesondere eine geeignete Nachfolgelösung des bis Ende 2025 befristeten dringlichen Gesetzes für alpine PV-Anlagen sowie massgebliche Verbesserungen für Windanlagen. Beide Anlagetypen würden – im Gegensatz zu kleinen Solaranlagen auf Dächern – nicht nur sehr viel Strom, sondern auch 50% davon im Winterhalbjahr produzieren (anstatt 25-30%).
Die Frage ist aber nicht nur, woher der Winterstrom kommen soll, sondern auch ob er genug schnell kommt. Die Bewilligungsverfahren dauern bei grossen Anlagen immer noch bis 15 Jahre, was im Hinblick auf die mittelfristigen Risiken zu langsam ist. Die vom Bundesrat auf Sommer angekündigte Botschaft einer Beschleunigungsvorlage könnte bei richtiger Ausgestaltung (u.a. vorausschauende Planung Bund und Kantone, konzentrierte Verfahren, kurze Fristen, kurzer Rechtsmittelzug) helfen, wohl aber eher in der längeren als kürzeren Frist.
Mit dem dringlichen Bundesgesetz für alpine Solaranlagen hat das Parlament einen Ansatz für eine kurzfristige Beschleunigung aufgezeigt: Wo vorher noch ein faktisches Verbot herrschte, werden nun durch entsprechende Bestimmungen in Rekordzeit sinnvolle alpine Solarprojekte entwickelt. Auch Axpo konnte aufgrund dieser Erleichterungen ihre Solaroffensive starten. Ein weiterer Ansatz ist der sog. Runde Tisch Wasserkraft, bei dem sich Bund, Kantone, Strombranche und Umweltverbände anhand von Umwelt- und Produktionskriterien auf Projekte geeinigt haben. Nicht in der Evaluation berücksichtigt wurde jedoch die Wirtschaftlichkeit der Projekte, welche insbesondere bei Staumauererhöhungen ohne jährliche Zusatzproduktion eine Herausforderung darstellt.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen könnte ein sinnvoller Mechanismus für schnellen Winterstrom etwa so aussehen: Der Bund führt eine Ausschreibung für Gross-Projekte mit Winterstrom durch (Alternative: runder Tisch). Die Auswahl der Projekte erfolgt sowohl nach wirtschaftlichen als auch umwelttechnischen Kriterien. Ausgewählte Projekte profitieren nicht nur von Förderung, sondern auch von einem stark vereinfachten und beschleunigten Bewilligungsverfahren.