12.02.2021 | Strommangellage in Nordwesteuropa
Ok. Wir geben zu: Der Titel war grobes Clickbaiting. Aber als die Frequenz im europäischen Verbundnetz Anfang Januar von einer Sekunde auf die andere absackte, war es tatsächlich vielen Axpo Kraftwerken (und ja: auch vielen weiteren) zu verdanken, dass es nicht zum Blackout kam.
Um die Sache mit der Netzfrequenz besser zu verstehen, muss man wissen: Das Stromnetz in Kontinentaleuropa ist von Istanbul bis Lissabon verbunden – auch die Schweiz ist darin verflochten. Der Strom in diesem Verbundnetz ändert ständig die Richtung. 50 Mal pro Sekunde geht es hin und zurück. Deshalb spricht man von Wechselstrom. Damit die Stromversorgung funktioniert, muss dieser Rhythmus des Stromnetzes (die Frequenz) überall gleich sein – eben bei 50 Hertz. Hat es zu viel Strom im Netz, steigt die Frequenz, hat es zu wenig, sinkt sie.
Am 8 Januar fiel die Netzfrequenz in Nordwesteuropa innert Sekunden um 250 Millihertz – ein ungewöhnlich starker Frequenzabfall. Was war passiert? Am Anfang der Ereigniskette stand laut Erkenntnissen des Verbandes europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) ein Ausfall eines Unterwerks in Ernestinovo (Kroatien). Über dieses Unterwerk floss zu dieser Zeit viel Strom aus Südost- nach Nordwesteuropa. Nach dem Ausfall des Unterwerks suchte sich dieser Strom einen Weg über andere Stromleitungen, die eine nach der anderen überlastet und in der Folge abgeschaltet wurden.
Das europäische Stromnetz war nun – da alle Verbindungen zwischen Nordwest- und Südost gekappt waren – zweigeteilt. Südost, wo plötzlich etwa 6300 Megawatt zu viel Strom produziert wurde und Nordwest, wo genau diese Leistung im Netz fehlte. Das führte zu einem drastischen Anstieg der Frequenz in Südost und einem Abfall der Frequenz in Nordwest – und damit natürlich auch in der Schweiz.
Eine Überproduktion lässt sich relativ schnell beseitigen: man stellt Kraftwerke ab. Aber in Nordwesteuropa fehlten ja schlagartig 6300 Megawatt (oder 6 Mal das Kernkraftwerk Gösgen). Diese fehlende Leistung mussten die Netzbetreiber innert Sekunden kompensieren. Zwar nahmen Frankreich und Italien automatisiert viele industrielle Grossverbraucher vom Netz (1700 Megawatt Leistung) und 480 Megawatt konnten notfallmässig aus England und aus dem Netzverbund der nordischen Staaten zugeschaltet werden. Doch damit die Frequenz nicht weiter sank und es nicht zum Blackout kam, mussten nordwesteuropäische Kraftwerke schnell die restlichen 4100 Megawatt Leistung ans Netz bringen.
Das funktioniert in ganz Europa vollautomatisch im Rahmen der Primärregelung. Sinkt die Frequenz im Netz, werden entsprechend Kraftwerke hochgefahren. Auch Axpo-Kraftwerke halten für diesen Fall Leistung vor und werden dafür entschädigt. Am 8. Januar brachten die Regelkraftwerke von Axpo innert 11 Sekunden rund 300 Megawatt Primärregelleistung ans Netz. Deutlich mehr, als eigentlich dafür vorgesehen wäre. Alleine Axpo lieferte also innert kürzester Zeit gut 7 Prozent der Leistung, die Nordwesteuropa fehlte. Grösster Lieferant dabei: das Pumpspeicherwerk Limmern.
Die Axpo Kraftwerke waren also mit ihren 300 Megawatt eine wichtige Stütze für die Netzstabilität in Europa. Denn Swissgrid reserviert schweizweit eigentlich nur 60 Megawatt für den Frequenzausgleich. Da war es wohl ein glücklicher Zufall, dass in diesem Moment in der Schweiz und ganz Nordwesteuropa Kraftwerke am Netz waren, die deutlich über die reservierte Leistung hinaus einspringen konnten – und so das Stromnetz vor dem Zusammenbruch bewahrten.
Betrachtet man den ganzen europäischen Kontinent, handelte es sich beim Vorfall im Januar nicht um eine Strommangellage. Insgesamt war genügend Kapazität vorhanden. Es fehlte aber kurzfristig die Möglichkeit, den Strom von Südost- nach Nordwesteuropa zu transportieren. Das führte hier zu einem Mangel. Die Strommangellage gilt laut dem Risikobericht des Bundes als grösstes Risiko für die Schweiz. Käme es zu einem länger andauernden Strommangel – und damit auch zu Blackouts – wären die erwarteten Schäden riesig. Gemäss Risikobericht noch grösser, als bei einer Pandemie.