18.08.2023 | Abruf nur im Notfall
Vor dem Hintergrund der angespannten Energiesituation im Jahr 2022 hat der Bund verschiedene fossile Reservekapazitäten kontrahiert. Diese Lösung ist aber bis 2026 befristet. Im Sommer 2023 hat der Bund seinen Entwurf für eine Nachfolgelösung präsentiert und eine Ausschreibung für Reservekraftwerke nach 2026 gestartet. Dass die Schweiz auf Reservekraftwerke als Versicherung setzt, ist durchaus sinnvoll. Sie können den Zubau erneuerbarer Energien aber nicht ersetzen. Offene Fragen gibt es zudem bezüglich des Umgangs mit Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen.
Die Schweiz ist im Winter stark von Stromimporten abhängig. Diese Abhängigkeit birgt ein Risiko für die Versorgungssicherheit, beispielsweise im Falle von temporär eingeschränkter Exportfähigkeit der umliegenden Länder. Bereits vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs hatte die ElCom vor Importrisiken gewarnt und den Bau von Reservekraftwerken empfohlen. Mit der angespannten Energiesituation im Jahr 2022 hat das Thema zusätzlich an Bedeutung und Geschwindigkeit gewonnen. So hat der Bund auf Basis einer Verordnung bereits für den Winter 2022/2023 die sog. Winterreserve etabliert, bestehend aus der Wasserkraftreserve, drei Reservekraftwerken (Birr 250 MW, Cornaux 36 MW, Montey 50 MW) und über sog. Pooler aggregierte Notstromgruppen. Die Verordnung und die Verträge mit den Reservekapazitäten sind allerdings bis 2026 befristet. Mit einem Ende Juni 2023 präsentierten Entwurf will der Bund eine gesetzliche Grundlage für die längerfristige Reserve schaffen. Ende Juli 2023 hat der Bund zudem eine Ausschreibung für die Reservekraftwerke nach 2026 gestartet.
Reservekraftwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie grundsätzlich nicht am Strommarkt teilnehmen, sondern – wie es ihr Name schon sagt - nur als Reserve für Notfälle bereitstehen. Das relevanteste Szenario für die Schweiz ist dabei, dass aufgrund Importeinschränkungen und geringer Verfügbarkeit von Produktionsanlagen im Inland die Nachfrage zeitweise nicht mehr gedeckt werden kann. Im Falle eines solchen Marktversagens könnten die Reservekraftwerke aktiviert werden, um die bestehende Energielücke zu decken.
Die Kosten von Reservekraftwerken werden von der Allgemeinheit finanziert; im Gegenzug stehen sie als Versicherung bereit, um im Notfall die Versorgungssicherheit für die Allgemeinheit sicherzustellen. Deshalb setzt man typischerweise auf steuerbare Technologien mit tiefen Investitionskosten, deren Teilnahme am Markt aufgrund ihres CO2-Ausstosses oder anderen Gründen wie hohen Betriebskosten nicht zielführend ist. Dazu gehören insbesondere Gas- und Öl-Spitzenlastkraftwerke.
Mit der im Parlament aktuell diskutierten Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) wird die gesetzliche Grundlage für eine Energiereserve geschaffen. Die Energiereserve beinhaltet in der vorgesehenen Fassung allerdings nur Speicherwasserkraftwerke und andere Speicher sowie Verbraucher mit Potenzial für Lastreduktion. Durch die Ende Juni 2023 präsentierte Vorlage möchte der Bund die bereits in der Praxis per Verordnung implementierten Reservekraftwerke (Gas oder andere Energieträger), Notstromgruppen und Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen (WKK-Anlagen) der gesetzlichen Bestimmung zur Energiereserve hinzufügen.
Da der Neubau von Reservekraftwerken einige Jahre dauert und die Verträge mit bestehenden Reservekapazitäten Mitte 2026 auslaufen, hat der Bund im Juli 2023 eine Ausschreibung für Reservekraftwerke für den Zeitraum nach 2026 gestartet. Ausgeschrieben werden insgesamt 400 MW an Leistung. Die Teilnahme steht für neue und bestehende Reservekraftwerke offen. Eine separate Ausschreibung für Notstromgruppen und WKK-Anlagen soll später folgen.
Die Dimensionierung der Reserve basiert auf einer Studie der ElCom in Zusammenarbeit mit Swissgrid. Diese kommt zum Schluss, dass durch den vorausschauenden Einsatz von 400 MW Reserveleistung ausreichend Strom produziert werden kann, um im modellierten Worst-Case-Szenario die Versorgungssicherheit sicherzustellen. In einer zweiten Studie analysiert die ElCom die Strombilanz der Schweiz für den Zeitraum nach 2030. Sie kommt darin zum Schluss, dass im Hinblick auf die Abschaltung der Kernkraftwerke langfristig eine Aufstockung der Reserve auf 700-1400 MW notwendig sein könnte.
Unklar in der Vorlage des Bundes bleibt die Rolle von (fossilen) WKK-Anlagen, also Anlagen, welche gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Der Bund sieht diese zum einen für die Teilnahme an der Stromreserve vor, will sie zum anderen aber auch ohne Teilnahme an der Reserve durch Investitionsbeiträge fördern.
WKK-Anlagen können vor allem da sinnvoll sein, wo neben Strom- auch ein Wärmebedarf besteht. Damit sind sie aber für eine Teilnahme an der Reserve konzeptionell ungeeignet: Stehen sie bloss als Reserve im Bereitschaftsmodus, können sie den Verbrauchern keine Wärme liefern; kommt es zu einem Marktversagen und damit zu einem Abruf, bräuchte es eine punktuelle, sinnvolle Verwendung der Wärme.
Mit Verweis auf eine im Nationalrat eingereichte Motion sollen auch WKK-Anlagen ausserhalb der Reserve mit Investitionsbeiträgen von bis zu 60% gefördert werden. Solche Investitionsbeiträge gibt es bereits heute für erneuerbare WKK-Anlagen (u.a. Biogasanlagen, Holzkraftwerke), neu gefördert würden somit WKK-Anlagen mit fossilen Brennstoffen. Dafür sollen jährlich bis zu 20 Mio. CHF des Netzzuschlagfonds, der eigentlich für erneuerbare Energien vorgesehen ist, verwendet werden. Dies wäre dahingehend ein Paradigmenwechsel, dass der Bund auch fossile Anlagen am Markt fördern würde - mit entsprechend negativem Einfluss auf die Klimabilanz der Schweiz. Dezentrale fossile WKK-Anlagen sind zwar durchaus eine Möglichkeit, um Winterstrom zu erzeugen. Sie sind im Vergleich zu grösseren Kraftwerken (z.B. auch fossil mit Wärmnutzung) aufgrund fehlender Skaleneffekte aber ökonomisch und ökologisch ineffizient. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass durch Förderung die Lenkungswirkung des Emissionshandels resp. der CO2-Abgabe untergraben wird.
Reservekapazitäten können eine sinnvolle Ergänzung für das Schweizer Stromsystem darstellen, um sich gegen temporäre Importengpässe abzusichern. Sie sind aber keine Lösung, um das potenziell ansteigende Importvolumen zu reduzieren. Dafür müssten die Anlagen über eine längere Zeit für den Markt produzieren. Auch vor dem Hintergrund des kürzlich verabschiedeten Klimagesetzes scheint es fraglich, ob ein längerer Betrieb von fossilen (Reserve)Kraftwerken oder WKK-Anlagen in der Schweiz aktuell zielführend ist, respektive ob durch Förderungen hierfür Anreize geschaffen werden sollen. Die bessere Alternative ist den Ausbau erneuerbarer Energien möglichst schnell und mit allen Mittel zu forcieren, wobei vor allem deren Produktion im Winterhalbjahr entscheidend ist. Dafür gilt es die Bewilligungsverfahren massgeblich zu beschleunigen und die Investitionssicherheit zu stärken.