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16.12.2022 | Tour de Suisse der Wasserkraft, Teil 4

Für mehr Versorgungssicherheit: Wasserkraft goes digital

Die Kraftwerke Sarganserland sind das digitale Flaggschiff im Axpo-Wasserkraftwerkspark. Hier erprobt Axpo erfolgreich die Kombination von langfristiger Kraftwerksinfrastruktur mit modernster Digitaltechnik und stärkt so die Versorgungssicherheit. Zudem bringt Axpo verschiedene digitale Services zur Marktreife. Der konzernweite Roll-out ist im Gang.

Hoch über dem Golfplatz des Grand Resorts Bad Ragaz führt eine gewundene Strasse in das Taminatal. Ein Seitental des Churer Rheintals, so schroff und kantig, dass selbst das Postauto sich nur per Dreiklanghorn um die Kurven vorantastet. Hinter den Serpentinen liegen die Ortschaften Pfäfers und Valens auf gegenüberliegenden Talflanken, seit je her durch eine tiefe Schlucht getrennt. Erst vor fünf Jahren wurde durch die Taminabrücke eine direkte Verbindung geschaffen. Die Bogenbrücke gilt als Magnet für Architekturfans. Mit ihren 260 Metern Bogenspannweite ist sie die grösste der Schweiz.

Das langgezogene Tamina- und das daraus abzweigende Calfeisental sowie das Wasser zuführende Weisstannental sind die Heimat der Kraftwerke Sarganserland mit den Stauseen Mapragg und Gigerwald. Aus diesem Hochdruckwasserkraftwerk mit Pumpspeicherbetrieb meldeten sich innovative Köpfe zu Wort, als ein Projektteam der Axpo vor drei Jahren für digitale Feldversuche einen verlässlichen Partner suchte. «Die Kraftwerke Sarganserland sind ein Glücksfall», bestätigt Emil Bieri, Head Digital Transformation bei Axpo Hydro. «Die interessierte Führungscrew unterstützte unsere Digitalisierungsprojekte vom ersten Tag an. Zudem war uns die geografische Lage zwischen dem Axpo-Hauptsitz in Baden und dem Sitz unseres ersten Partners bei Hydro 4.0 in Bayern wichtig.»

Das gläserne Wasserkraftwerk

Emil Bieri führt am Fusse des Mapraggstausees durch ein klassisches Kraftwerksgebäude. Per Lift geht es mehrere Stockwerke abwärts in eine Halle so gross wie zwei Kirchen. An den Wänden, wo früher Schaltkästen auf Handgriffe warteten, reihen sich Computermonitore aneinander. Soviel wird schnell mal klar: Noch heute vermag eine einzige Francisturbine mehr zu beeindrucken als ein Dutzend Computerbildschirme. «Das Innenleben dieser Computer aber, die erfassten Daten und vor allem deren Auswertungen, erleichtert die Arbeit enorm und krempelt im Prinzip alles bisher Dagewesene um», sagt Emil Bieri nicht ohne Stolz.

Das Datenmanagement spielt sowohl in der Produktion als auch im Handel eine wichtige Rolle. Bereits heute können im Axpo-Hauptsitz in Baden viele Details der Wasserkraftanlagen per Mausklick abgerufen werden. Die meisten Kraftwerke werden aus der Zentrale in Baden gesteuert. Die neuen digitalen Tools aber bringen einen hochwertigen Zusatznutzen, der nicht nur analytischer Natur ist. «Der Zugriff von überallher auf die wichtigsten, betriebsrelevanten Daten bieten uns eine enorme Flexibilität», erklärt Betriebsleiter Matthias Kohler begeistert. «So haben wir beispielsweise jederzeit den Überblick über den Zustand der Wasserfassungen.»

Die Web-App wird künftig mit weiteren Funktionen ergänzt: Darin sollen Echtzeitdaten, Trendanalysen, Wartungsintervalle auf Basis historischer Daten und eine automatische Überwachung inklusive Alarmierungssystem zusammenkommen.

Breites digitales Angebot für Wasserkraftwerke

Das Team um Emil Bieri bietet als Kompetenzzentrum verschiedene Services für die digitale Transformation von Wasserkraftwerken an. Der sogenannte «Digitale Kompass» umfasst eine Situationsanalyse mit Fokus auf den Betrieb und die Instandhaltung. Die Hydro-Digitalisierer quantifizieren dafür mögliche digitale Massnahmen auf ihr Nutzenpotenzial. Ist die Standortbestimmung abgeschlossen, setzt das Angebot auf die Pfeiler Datenmanagement und -analyse («Analytics»), operative Prozesse der Instandhaltung, administrative Prozesse, und top-modernes Arbeitsumfeld («Workforce») und nicht zuletzt auf die Ausrüstung von Kraftwerken mit krisensicherer Kommunikationsinfrastruktur sowie der Mitarbeitenden mit mobilen Endgeräten («Infrastructure»). In einem nächsten Schritt soll «Robotics» als weiterer Schwerpunkt im Digitalisierungsprozess hinzukommen. «Solche Transformationsprozesse eng zu begleiten, dafür besteht ein Markt nicht nur konzernweit, sondern auch in vielen weiteren Kraftwerken der Schweiz», betont Emil Bieri. Aber: Nur schon den Axpo-Kraftwerkspark auf Digital umzustellen gleicht einer Mammutaufgabe.

Anlagenteile sind per QR-Code identifizierbar

Gemeinsam mit einem Monteur gehen wir auf Kontrollrundgang. Sein Werkzeug: ein Tablet. Alle 24 Mitarbeitenden der Kraftwerke Sarganserland wurden mit mobilen Arbeitsgeräten ausgestattet. Per Kamerafunktion liest der Monteur den QR-Code eines Anlagenteils ab. Auf dem Display erscheint umgehend dessen umfassende Instandhaltungschronik. «Mehr Informationen kannst du so rasch nirgendwo nachschlagen», betont er. Ein weiterer, deutlich jüngerer Mitarbeiter stösst zur Gruppe: «Mir geht die Digitalisierung natürlich viel zu langsam.» Aufgewachsen mit Smartphone und Computer, ist ihm jedes Handbuch ein Graus. Für ihn ist es das Normalste auf der Welt, seine Aufträge per Blick aufs Tablet entgegenzunehmen und nach erledigter Arbeit auf selbigem abzuhaken. Betriebsleiter Matthias Kohler: «Die Kraftwerke Sarganserland haben 1 912 QR-Codes im Einsatz. Davon gibt es bis dato über 1 000 Objekte, auf denen mindestens ein Auftrag erfasst wurde.»

Mobiles Roaming mitten in der Staumauer

Aus Sicherheits- und Komfortgründen setzt Axpo bei ihrer Digitalisierungsstrategie nicht etwa auf klassisches W-LAN, sondern auf Mobilfunktechnologie. «Wir sind uns der Problematik sehr wohl bewusst, dass es sich bei Wasserkraftwerken um kritische Infrastruktur handelt», sagt Emil Bieri. Für eine Vollabdeckung mit Mobilfunk installierte die Axpo-Tochterfirma WZ-Systems in den Kraftwerken Sarganserland 125 Antennen, 2,3 Kilometer Strahlkabel und unzählige Signalverstärker. Selbstverständlich sind auch die Kontrollgänge mitten in den meterdicken Staumauern mobilfunkfähig. «In die Kommunikationsabdeckung im Innern der Kraftwerksanlagen investiert Axpo insgesamt rund 25 Millionen Franken über alle 31 Werke hinweg», rechnet Emil Bieri vor. «Im Aussenbereich kommen nochmals rund zwei Millionen hinzu.» Zu diesen Kosten gehören indessen auch Backup-Kommunikationsmittel wie Betriebsfunk. Der konkrete Aufwand variiert von Werk zu Werk je nach den lokalen Gegebenheiten.

Zur Illustration geht es per Auto talaufwärts zur Staumauer Gigerwald. Mitten auf der Staumauerkrone stoppt der Betriebsleiter den Wagen und steigt aus. Der Pfosten eines Verkehrsschildes steht schief. Matthias Kohler zückt das Mobiltelefon und erfasst den QR-Code des Mauerabschnitts. Der Instandsetzungsauftrag ist innerhalb von einer Minute erstellt. Das Mobiltelefon verfügt über volles Netz. «Wäre die Instandsetzung des Pfostens bereits von einem Arbeitskollegen erfasst worden, hätte ich dies sofort online gesehen», erklärt Matthias Kohler. «Da das Erfassen per QR-Code so rasch und unkompliziert geht, ist für uns ein kurzer Online-Check bei kleinsten Auffälligkeiten zu einem ganz normalen Vorgang geworden.»

Von der Staumauer aus blicken wir auf den Gigerwald-Stausee. Was unter der glitzernden Oberfläche lagert, ist nichts weniger als die wichtigste Schweizer Energiequelle für Strom und somit eines der aktuell kostbarsten Güter der Schweiz. Wegen der drohenden Stromknappheit in den Wintermonaten wurden die bereits eingeleiteten Sanierungsarbeiten im Spätsommer 2022 unterbrochen und um zwei Jahre verschoben. Eine pragmatische Lösung, auch wenn die Sanierung für den langfristigen Betrieb unverzichtbar ist. Die Verfügbarkeit von bis 160 Gigawattstunden (GWh) Wasserstrom geniesst aktuell jedoch die höchste Priorität. «Gerade hinsichtlich einer drohenden Strommangellage sind Energie sparende und die Infrastruktur schonende Prozesse unabdingbar», betont Emil Bieri. «Hier stösst die Digitalisierung das Tor zu besserer Effizienz und datenbasierter Planung weit auf.» 

Roll-out auf die 31 Axpo-Kraftwerke läuft

Was die Kraftwerke Sarganserland als Vorreiter demonstrieren, wird das Team um Emil Bieri schrittweise in allen Axpo-Wasserkraftwerken umsetzen. So steckt das Flusskraftwerk Rüchlig in Aarau aktuell mitten in der Transformation. Das Kraftwerk aus dem Jahr 1884 wurde 2014 durch Axpo von Grund auf erneuert. Jetzt ist es ein Digitalisierungskandidat. «Danach folgen im Kanton Graubünden die Kraftwerke Tschar / Tavanasa sowie Reichenau, und im Mittelland kommen bald schon die Werke in Windisch und Wildegg/Brugg hinzu», zählt Emil Bieri auf. Das Ziel: Bis 2026 soll die Digitalisierung der 31 Axpo Werke abgeschlossen sein. «Die Reihenfolge aller Axpo-Werke ist geplant, aufeinander abgestimmt und im Budget hinterlegt.»

Noch sind aber zu wenige Werke umgestellt, als dass Effizienzsteigerungen oder die Werte einer optimierten Instandhaltungsplanung messbar wären. Kommt hinzu, dass relevante Bausteine und Module der mobilen Instandhaltung laufend hinzustossen. Ein Kennzahlensystem ist in Entwicklung, um den Nutzen der Services nach Abschluss der Digitalisierung messen und verfolgen zu können. Die Werke werden dazu ein Online-Dashboard erhalten. Emil Bieri: «Aussagekräftige Zahlen werden wir in einigen Jahren sehen, wenn die neue Arbeitsweise bei allen Werken zur gelebten Realität geworden ist».

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