17.04.2023 | Schweizer Unternehmen können sich an neuer Plattform nur als Verkäufer beteiligen
Die Europäische Kommission verfolgt seit längerem das Konzept eines gemeinsamen Erdgaseinkaufs auf Ebene EU: Sie geht davon aus, dass die gebündelte Nachfragemacht über eine verbesserte Verhandlungsposition zu besseren Preisen für Industrie, Stromproduzenten und Haushalte führt. Ende 2022 traten die gesetzlichen Grundlagen für die EU Energie Plattform («EU Energy Platform») in Kraft. Die erste Nachfragebündelung soll Ende April 2023 beginnen; der erste Lieferzeitpunkt wäre Juli 2023. Schweizer Unternehmen können sich an der Plattform beteiligen – jedoch nur als Verkäufer.
Zum Jahresende 2022 ist die EU-Verordnung 2022/2576 über mehr Solidarität durch eine bessere Koordinierung der Gasbeschaffung, zuverlässige Preis-Referenzwerte und den grenzüberschreitenden Austausch von Gas in Kraft getreten. Diese per Notrecht angenommene EU-Verordnung schafft die gesetzlichen Grundlagen für den Betrieb der EU Energy Platform, mit der die EU den Erdgasbezug bzw. die Lieferländer diversifizieren und die Befüllung der Erdgasspeicher im Hinblick auf den kommenden Winters 2023/24 sicherstellen möchte. Ergänzt wird die Plattform durch Absichtserklärung der EU mit internationalen Lieferländern. Künftig soll die Plattform auch zur Beschaffung von Wasserstoff zum Einsatz kommen.
Gemäss der EU-Verordnung sind die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Erdgasnachfrage in einem Umfang zu bündeln, der mindestes 15 % ihrer jeweiligen, gemäss EU-Recht bestehenden Speicherbefüllungsverpflichtungen entspricht. Die Pflicht gilt auch für EU-Mitgliedsstaaten, die nicht über Erdgasspeicher verfügen. Es besteht jedoch kein Kontrahierungszwang, das heisst die jeweiligen EU-Unternehmen sind nach der Aggregation nicht dazu verpflichtet, entsprechende Gaslieferverträge abzuschliessen. Erworbenes Erdgas muss auch nicht zwingend eingespeichert werden, sondern kann anderweitig eingesetzt werden.
Zur operativen Umsetzung wurde Anfang 2023 die in Leipzig ansässige europäische Online-Plattform für den Handel mit Gaskapazitätsrechten Prisma European Capacity Platform GmbH (PRISMA) von der Europäischen Kommission mit dem Aufbau der Plattform AggregateEU beauftragt. AggregateEU bzw. der dahinterliegende Algorithmus gleicht die eingegebene, gebündelte Nachfrage mit Erdgasangeboten ab. Anschliessend können die teilnehmenden Unternehmen mit den Gaslieferanten Kaufverträge abschliessen, und zwar entweder einzeln oder gemeinsam. Die Kosten von PRISMA übernimmt der EU-Steuerzahler.
AggregateEU steht Unternehmen mit Sitz in der EU oder in den Ländern der Energiegemeinschaft offen; sie können sowohl als Käufer als auch als Verkäufer auftreten, allerdings nicht bei ein- und derselben Ausschreibung. Nicht-EU-Unternehmen können nur als Verkäufer teilnehmen; ganz ausgeschlossen sind russische Unternehmen.
Nach Vorstellung der Europäischen Kommission soll insbesondere kleineren Unternehmen und Unternehmen aus Binnenländern ohne Zugang zu LNG-Infrastruktur der Marktzugang erleichtert werden. Unternehmen, die nicht die erforderliche Mindestabnahmemenge erreichen, nicht über das erforderliche Knowhow verfügen, um die Logistik für die Gasbeschaffung abzuwickeln oder keine ausreichende Kreditwürdigkeit vorweisen können, um selbst Verträge mit Gaslieferanten abzuschliessen, bietet die Europäische Union zwei Kooperationsmodelle an:
In beiden Fällen sind die Vorgaben des EU-Wettbewerbsrechts einzuhalten.
Für die Europäische Kommission stellt die EU Energy Platform ein Prestigeprojekt dar: Entsprechend gross ist die Erwartungshaltung gegenüber der Erdgaswirtschaft und deren Beteiligung an der Plattform. In der Praxis sind jedoch noch viele operative Fragen ungeklärt. Offen ist, ob es für den Fall, dass es nicht zu den gewünschten Vertragsabschlüssen kommt und sich die Versorgungslage wieder verschärft, ein Kontrahierungszwang folgen könnte.
Im Zusammenhang mit den Unterbrechungen der Erdgaslieferungen durch die Ukraine Anfang der 2000er Jahre und vor dem Hintergrund eines Erdgasverbrauchs von mehr als 400 Milliarden m2 Erdgas pro Jahr (Eurostat, 2020) hatte die Europäische Kommission bereits in der Vergangenheit versucht, einen gemeinsamen Erdgaseinkauf auf EU-Ebene einzuführen. Treiber waren neben den erwarteten Vorteilen eines Einkaufsmonopols und dem Wunsch, die Nachfragebündelung als aussenpolitisches Druckmittel der EU einsetzen zu können, auch die Frustration der EU-Mitgliedsstaaten Zentraleuropas, die über schlechtere Einkaufsbedingungen verfügen als ihre westlichen Nachbarn. Seinerzeit waren die Pläne u.a. am Widerstand der Gasbranche und der EU-Mitgliedsstaaten sowie an den Bedenken der EU-Wettbewerbskommission gescheitert.
Schematische Darstellung der EU Energy Platform: