15.02.2023 | Eine Orientierungshilfe zu kurz- und langfristigen Massnahmen
Die Energiekrise bedeutet nicht nur für die Märkte eine turbulente Zeit. Auch im Bereich Regulierung hat sich die Anzahl und insbesondere auch die Geschwindigkeit von Gesetzesvorstössen und Verordnungsanpassungen markant erhöht. Parallel zu den kurzfristigen Herausforderungen laufen aber auch die Arbeiten an den langfristigen Rahmenbedingungen weiter. In diesem Artikel werden wichtige regulatorische Entwicklungen des letzten halben Jahres zusammengefasst und eingeordnet.
Der Mantelerlass (Revision Stromversorgungsgesetz & Energiegesetz), die für den Strommarkt bedeutendste Vorlage, wird zurzeit im Parlament behandelt. Bereits im September 2022 hatte der Ständerat mit zahlreichen Änderungen zur Version des Bundesrates ein klares Zeichen für erneuerbare Energien gesetzt (u.a. höhere Ausbauziele, Stärkung nationales Interesse erneuerbarer Energien, gleitende Marktprämie als zusätzliches Förderinstrument). Zurzeit wird die Vorlage in der Energiekommission des Nationalrates (UREK-N) diskutiert, welche am 26. Januar 2023 über die ersten Entscheide informierte. Sie ist dabei verschiedenen Anliegen des Ständerats zur Stärkung erneuerbarer Energien gefolgt, lehnt aber gewisse Lockerungen im Bereich Umweltschutz ab. Die UREK-N will zudem eine Solarpflicht für Gebäude in die Vorlage aufnehmen.
In der Herbstsession 2022 hatte das Parlament zudem ein dringliches Bundesgesetz in Kraft gesetzt, welches den Bau von grossen, alpinen Photovoltaik-Anlagen (PV) in einem beschleunigten Verfahren ermöglicht und eine PV-Pflicht auf Gebäuden vorsieht (sog. «Solaroffensive»). Die Bestimmungen sind jedoch bis Ende 2025 befristet. Der Entwurf der Verordnungsbestimmungen zur Solaroffensive wurde im Dezember 2022 präsentiert, er schafft aber noch nicht die für Projektanten notwendige Planungssicherheit. Die finale Version wird Mitte/Ende März 2023 erwartet. Analog zu Erleichterungen für PV-Anlagen wird im Parlament zurzeit über ein dringliches Bundesgesetz für bereits fortgeschrittene Windkraftanlagen diskutiert. Konkret soll eine rechtskräftige Nutzungsplanung auch als Baubewilligung gelten, um einen weiteren Rechtsmittelzug zu verhindern.
Ab 1. Januar 2023 bereits in Kraft getreten sind zudem die als Folge der Parlamentarischen Initiative Girod verlängerten und angepassten Förderinstrumente erneuerbarer Energien. Als eine der Neuerungen werden erstmals Auktionen zur Zuteilung der Fördermittel für grossen PV-Anlagen ohne Eigenverbrauch durchgeführt.
Die Etablierung von Reserven war bereits vor der Energiekrise im Hinblick auf abnehmende Grenzkapazitäten ein Thema. Deren Umsetzung hat sich nun aber massgeblich beschleunigt. Regulatorische Grundlage der kurzfristig etablierten Reserven ist die Winterreserveverordnung, welche Ende Januar 2023 verabschiedet wurde und die Wasserkraftreserveverordnung von September 2022 erweitert. Ergänzend zur Wasserkraftreserve sind ab Februar 2023 zwei fossile Reservekraftwerke (Birr & Cornaux) und zahlreiche Notstromaggregate Teil der Winterreserve. Letztere würden über «Pooler» wie Axpo und CKW koordiniert abgerufen. Für den Winter 2023/2024 sollen weitere Reservekapazitäten (inkl. Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen) per Ausschreibung dazukommen.
Im Gegensatz zur EU, wo im Laufe des vergangenen Jahres immer weitgehendere Massnahmen zur Dämpfung der Energiepreise getroffen wurden, hat sich die Schweiz mit regulatorischen Massnahmen zurückgehalten und setzt grösstenteils auf freiwillige Energiesparkampagnen (Strom und Gas). Als Ausnahme davon hatte der Bund im November 2022 mit einer neuen Verordnungsbestimmung klargestellt, dass Grossverbrauchern durch Beitritt in einen ZEV (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch) in die Grundversorgung zurückkehren können. Die mit einer Rückkehr verbundenen, potenziell hohen Beschaffungskosten tragen die jeweiligen Energieversorger und deren Kunden in der Grundversorgung.
Mittel- bis langfristig gilt es die teilweise sehr kurzfristig eingeführten, temporären Regulierungen durch geschärfte, stabile und marktnahe Folgeregulierungen abzulösen. Diese anspruchsvolle Aufgabe kann nur in Zusammenarbeit zwischen Politik, Behörden und Fachexperten der Strombranche gelingen. Ein spezieller Fokus der Bemühungen sollte dabei auf die Beschleunigung der Bewilligungsverfahren gelegt werden. Es braucht Lösungen, die über die vom Bundesrat im Februar 2022 präsentierte Beschleunigungsvorlage, deren Zukunft noch ungewiss ist, hinausgehen. Die Versorgungssicherheit der Schweiz lässt sich nur durch einen massiven und beschleunigten Zubau von Winterstrom sicherstellen. Dies umso mehr, solange ein Stromabkommen mit der EU in weiter Ferne liegt.