Als Folge der Energiekrise hat der Bundesrat den Entwurf für eine Regulierung «systemrelevanter» Stromunternehmen präsentiert. Die Vorschläge orientieren sich stark an der Bankenregulierung und sind international ohne Vergleich. Fehlgeleitete Vorgaben könnten die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Stromproduzenten schwächen und Investitionen in erneuerbare Energien in der Schweiz erschweren. Eine Einordnung.
Am 14. Juni endete die Vernehmlassung eines Entwurfs für Anforderungen an «systemrelevante» Stromunternehmen. Gemäss Vorlage des Bundesrates würden acht grosse Stromproduzenten neu als systemrelevant gelten, der Regulator ElCom könnte weitere Schweizer Unternehmen der Liste hinzufügen. Diese Unternehmen müssten Anforderungen an die Organisationsstruktur erfüllen und wären verpflichtet, für «alle relevanten» Szenarien über «angemessene» Liquidität und «angemessenes» Eigenkapital zu verfügen. Geprüft würde dies jährlich, sowohl durch eine externes Revisionsunternehmen wie auch durch die ElCom. Neben der Prüfung der internen Modelle könnten die Behörden auch Modelle in Form von Standardszenarien oder Stresstest vorgeben. Der Bundesrat hätte zudem die Kompetenz, konkrete Liquiditäts- und Eigenkapitalquoten vorzugeben. Bei schweren Verstössen drohten harte Sanktionen und mehrjährige Berufsverbote.
Stromproduzenten mit internationalem Handelsgeschäft sind den EU-Regulierungen unterworfen und halten diese ein. Die EU hat als Reaktion auf die Energiekrise ihre Regulierung der Energie- und Finanzmärkte just aktualisiert, aber keine vergleichbaren Vorgaben eingeführt. Der Bund würde im internationalen Vergleich also Neuland betreten und mit der Spezialregulierung massgebliche internationale Wettbewerbsnachteile für Schweizer Produzenten schaffen. Unklar ist auch, was bei einem erfolgreichen Stromabkommen passieren würde. Die Bestimmungen müssten voraussichtlich angepasst werden.
Doch auch im Inland drohen Wettbewerbsverzerrungen: Nur wenige Unternehmen wären den Vorgaben unterstellt, aber weitere, aus Sicht der Versorgungssicherheit ebenfalls (mindestens lokal) relevante Akteure, Intermediäre oder in der Schweiz tätige ausländische Lieferanten wären vollständig ausgenommen.
Dass die Vorlage auf Liquidität abzielt, ist konzeptionell nachvollziehbar, waren doch während der Energiekrise 2021/2022 in vielen Ländern Liquiditätsengpässe bei Stromproduzenten aufgetreten. Ursache dafür war die Absicherung der Stromproduktionsanlagen: Um sich gegen sinkende Strompreise abzusichern, verkaufen die Produzenten einen Teil des Stroms in die Zukunft. Insbesondere bei Börsengeschäften, aber auch bilateralen Verkäufen, werden dabei Sicherheitsleistungen fällig. Dadurch werden Kreditrisiken und Dominoeffekte verhindert: Die Sicherheitsleistung stellen bei einem Ausfall der Gegenpartei die Nachbeschaffung (oder Verkauf) des Stroms ohne Verluste sicher. Steigen die Strompreise an, müssen die Sicherheitsleistungen für bereits getätigte Vorausverkäufe entsprechend erhöht werden. Durch den nie dagewesenen, schnellen Anstieg der Strompreise in der Energiekrise auf das zwanzigfache des historischen Niveaus, wurden Sicherheitsleistungen im Milliardenbereich notwendig, welche in sehr kurzer Zeit aufgebracht werden mussten. Die daraus entstandenen Liquiditätsengpässe waren aber von temporärer Natur, denn das Geld fliesst bei Lieferung des Stroms zurück. Aufgrund hoher Strompreise waren gleichzeitig die Ertragsaussichten der Produktionsanlagen ausserordentlich gut. Damit war diese Situation nicht mit Liquiditätsproblemen von Banken vergleichbar, wo ein schneller Abfluss von Kundengeldern zu einer Notabwicklung führen kann. Stromproduktionsanlagen können auch bei Liquiditätsengpässen grundsätzlich weiterbetrieben werden, das Personal wird seine Arbeit nicht niederlegen.
Dennoch stellt sich in der Umsetzung der Vorlage die Frage, wie hoch eine «angemessene» Liquidität zukünftig sein müsste. Die Unternehmen haben mit Blick auf die Krise gelernt. Sie sichern die Produktion weniger umfassend ab, was die mit den Sicherheitsleistungen verbundenen Liquiditätsrisiken generell reduziert. Zudem haben sie die Risikomodelle verbessert und ihre Liquiditätsreserven erhöht. Auch die europäische Regulierung wurde in diesem Bereich angepasst, so dass an den Börsen zukünftig neben Bargeld auch Bankgarantien als Sicherheitsleistung zugelassen sind.
Setzt der Bund auf Basis der geplanten Regulierung darüber hinaus noch erweiterte und allenfalls ineffiziente Liquiditätsvorgaben, würde dies letztlich Mittel für Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien blockieren (vgl. auch NZZ vom 13. Juni 2024).
Nicht nachvollziehbar sind hingegen die in der Vorlage geplanten Bestimmungen zu Eigenkapital. Diese haben in der Bankenwelt ihre Berechtigung, soll doch ein gewisses Eigenkapital die Stabilität der Banken sicherstellen und damit verbunden das Vertrauen in sie erhöhen. Damit wird die Wahrscheinlichkeit eines Bankruns (d.h. Abzug von Kundengeldern / Fremdkapital) reduziert und es wären im Konkursfall Mittel zur Sicherung der Kundeneinlagen vorhanden.
Stromproduzenten haben diesbezüglich aber eine komplett unterschiedliche Geschäftstätigkeit, Vermögensstruktur und Risikosituation (vgl. u.a. obere Ausführungen zur Absicherung der Produktion). Das Eigenkapital ist dabei insbesondere eine buchhalterische Grösse, welche kaum etwas über die Risikosituation der Unternehmen aussagt. Sie schwankt zudem sehr stark mit der Bewertung der Handelsgeschäfte und Produktionsanlagen und ist zwischen einzelnen Stromproduzenten nicht vergleichbar. Eine Regulierung des Eigenkapitals würde damit zu willkürlichen und schwer absehbaren Ergebnissen führen. Dies könnte wiederum den Handlungsspielraum der Unternehmen einschränken (z.B. zusätzliches Fremdkapital zur Deckung der Sicherheitsleistungen aufzunehmen) oder Investitionen in erneuerbare Energien erschweren.
Der Bund möchte mit Eigenkapitalvorschriften gemäss Vorlage eine Überschuldung verhindern. Gewinne lassen sich allerdings nicht herbeiregulieren. Der Konkurs eines Stromproduzenten würde zudem die Versorgungssicherheit nicht gefährden. Es wäre ein sehr langsamer Prozess mit vorgängigem Sanierungversuch, der genug Zeit für die Übertragung der Produktionsanlagen bieten würde. Ein Konkursverwalter hätte in diesem Prozess keine Anreize, die Anlagen abzustellen.
Es ist verständlich, dass der Bund als Folge der Krise einen besseren Blick auf die Risikosituation der Unternehmen haben will. Dafür wären aber effizientere Ansätze als die vorgeschlagenen sinnvoll. Beispielsweise könnten die Unternehmen direkt Informationen über die verfügbare Liquidität und Risiken liefern, während auf eine aufwändige Prüfung der Modelle verzichtet wird. Diese Prüfungen bedeuten nicht nur viel Zusatzaufwand – bei den Unternehmen wie auch Behörden –, eine starke Formalisierung schränkt auch die Flexibilität zur Weiterentwicklung der Modelle ein.
Liquiditäts- oder Eigenkapitalvorgaben von Seiten der Behörden müssten nicht nur die spezifische Situation des Unternehmens berücksichtigen, sondern auch der Komplexität des Risikomanagements und des Strommarktes ausreichend Rechnung tragen. Damit geht in jedem Fall das Risiko einher, das Risikomanagement der Unternehmen unnötig einzuschränken und damit die Versorgungssicherheit letztlich zu schwächen.