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25.11.2022 | Merit Order: Vortritt den günstigsten Kraftwerken

Warum Erdgas den Strompreis in die Höhe treibt

Der Einsatz des teuersten Kraftwerks bestimmt den Strompreis, nicht das günstigste. Wie kann das sein?

Die Strompreise im europäischen Grosshandel, wo auch die Preise für die Schweiz gemacht werden, haben sich seit Mitte letzten Jahres deutlich verteuert. Das hat vielfältige Gründe. So liess zunächst die Corona-Pandemie die Nachfrage nach Strom sprunghaft ansteigen, dann fehlte es an Produktionskapazitäten wegen Kraftwerksausfällen insbesondere in Frankreich.

Zudem hat der trockene und heisse Sommer den Strompreisen sprichwörtlich eingeheizt: Zu hohe Wassertemperaturen führten zu Problemen bei der Kühlung von AKWs. Deren Leistung musste heruntergefahren werden. Die Trockenheit wiederum liess die Pegelstände sinken, was der Wasserkraft zu schaffen gemacht hat. 

Preisexplosion bei den Gaspreisen

Damit nicht genug. Steigt der Preis für Erdgas, treibt das den Strompreis nach oben. Ersterer hat in den vergangenen Monaten ein rekordhohes Niveau erreicht. Unzureichend gefüllte Gasspeicher, höhere CO2-Preise und die Krise am Gasmarkt infolge der russischen Aggression haben zu einer beispielslosen Verteuerung des fossilen Brennstoffes geführt.

Aktuell hat sich die Lage zwar etwas beruhigt. Vielen Ländern gelang es die Erdgasspeicher gut zu füllen, auch Deutschland, Grossabnehmer russischen Erdgases. Das Land verfügt innerhalb der EU über die grössten Speicherkapazitäten für Erdgas. Zudem gelang es unserem nördlichen Nachbarn, russisches Erdgas teilweise durch Lieferungen aus Norwegen und den USA (Flüssiggas) zu ersetzen. Gleichwohl bleiben die Preise für Erdgas auf einem historisch hohen Level.

Förderung von Solar- und Windkraft

Weshalb aber puscht der Preis für Erdgas jenen für Strom, zumal Erdgas zwar auch zur Verstromung, aber zum grossen Teil fürs Heizen genutzt wird?

Die Antwort liegt in der sogenannten Merit Order. Sie regelt die Reihenfolge (order), nach der Kraftwerke ihren Strom ins Netz speisen. Vorrang haben jene Kraftwerke, die auf Grenzkostenbasis die höchste Wirtschaftlichkeit (merit) ausweisen. Die Grenzkosten sind die Kosten für die Erzeugung einer zusätzlichen Megawattstunde Strom, also die variablen Kosten wie zum Beispiel jene für fossile Brennstoffe und CO2-Zertifkate.

Die tiefsten Grenzkosten haben aktuell Solar- und Windkraftwerke, denn Sonnenstrahlen oder Wind sind zum Nulltarif zu haben. Sie kommen somit als erste zum Zug. Die Förderung dieser relativ jungen erneuerbaren Produktionsformen ist gewollt und war eines der Ziele, weshalb die Merit Order in den 1990er-Jahren entworfen und im Zuge der EU-weiten Liberalisierung der Energiemärkte eingeführt worden ist. 

Mit Solar- und Windkraft allein lässt sich der Strombedarf Europas indes nicht decken. Es braucht Strom aus Kern- und Wasserkraftwerken. Bei weiterem Bedarf, werden Braun- und Steinkohlekraftwerke zugeschaltet. Reicht das – gerade in Spitzenzeiten – noch immer nicht, kommen Gaskraftwerke zum Einsatz. Sie müssen sich den Brennstoff derzeit aber äusserst teuer am Markt zukaufen.

Teuerster Anbieter setzt Preis für alle

In der Praxis klappt diese schrittweise Zuschaltung reibungslos. Die Anbieter von Strom melden der Strombörse für den kurzfristigen Handel (Day ahead und Intraday), dem sogenannten Spotmarkt, die Strommengen, die sie verkaufen wollen, sowie ihre Grenzkosten. Das Börsensystem vergleicht das Angebot gemäss der Merit Order grenzkostenbasiert mit der eingegangenen Nachfrage, sodass die Kraftwerke entsprechend zugeschaltet werden können, bis die Nachfrage gedeckt ist.

Den Strompreis bestimmt sodann der teuerste Anbieter, der gerade noch berücksichtigt wird. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Der teuerste Anbieter setzt den Preis für die gesamte benötigte Strommenge. Jedes Kraftwerk bekommt also den gleichen Preis für die erzeugte Menge.

Deswegen schlagen sich die aktuell sehr hohen Preise für Erdgas voll auf den Börsenpreis für Strom durch – und deshalb profitieren Kraftwerke, die Strom günstig erzeugen können wie Solar- und Windkraftwerke, aber auch Wasserkraftwerke und KKW aktuell massiv. Je tiefer deren Erzeugungskosten unter dem Marktpreis liegen, je grösser fällt selbstredend die Marge aus. 

Bewährtes System

Das Merit-Order-System funktioniert seit den 1990er Jahren gut und sorgt dafür, dass die Nachfrage schrittweise zu den günstigsten Erzeugerpreisen gedeckt wird. Gleichzeitig fördert es erneuerbare Energien und belohnt die im Betrieb günstigen Technologien, während die teureren Kraftwerke, die rasch und zuverlässig Strom liefern können, im Markt gehalten werden.

Im Zuge der aktuellen Energiekrise haben die EU-Staaten Ende September dennoch beschlossen, dass die Einnahmen der Energieunternehmen bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden sollen. Dies trifft vor allem jene, die Strom günstig erzeugen können wie Solar-, Wind- oder Kernkraftwerke. Mit dem Überschuss sollen die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlastet werden. Diese sind aber nicht eins zu eins und verzögert von den hohen Strompreisen im europäischen Handel betroffen. Mehr zu den Strompreisen für die Endkonsumenten finden sich hier.

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