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30.11.2018 | Wer hat’s erfunden: Werner von Siemens und die Dynamomaschine

Ein Start-up-Genie

Wäre Werner von Siemens im 21. Jahrhundert geboren, würde man den Vater der Elektrotechnik als Start-up-Genie bezeichnen. Seine Erfindungen und sein Unternehmergeist veränderten die Welt. Die Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips ermögliche den Schritt ins «elektrische Zeitalter». Die Elektroindustrie wurde zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, der Maschinenbau boomte: Die zweite industrielle Revolution war Tatsache.

«Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern mit den Augen die Tür zu finden». So blickt Werner Siemens, der 1888 vom preussischen König für seine Verdienste geadelt wird und sich fortan Werner von Siemens nennen darf, auf die Welt. Und er sagt: «In dem ICH will liegt eine mächtige Zauberkraft».

Zwei Sätze die von Siemens Leben stark beeinflussen. Denn Siemens ist nicht nur Tüftler und Erfinder (siehe Box). Für ihn hat die praktische Anwendbarkeit seiner Erfindungen stets grosse Bedeutung. Er ist ein Macher und Visionär, hat ein Ziel vor Augen: Er will ein „Weltgeschäft“ aufbauen. Aus dem Nichts.

Werner von Siemens: Dynamomaschine
Die Dynamomaschine

Seine wohl bedeutendste Erfindung gelingt ihm 1866 mit der Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips und dem Bau der ersten Dynamomaschine (Generator) 1867.Damit schafft Werner von Siemens die Voraussetzung zum wirtschaftlichen Einsatz des elektrischen Stromes.

Worum es dabei geht?

Die wichtigsten Teile eines Generators sind eine Spule (mehrfach gewickelter Draht) und ein Magnet. Bewegen sich Magnet oder Spule, dann kann man an der Spule elektrischen Strom abgreifen. Je stärker der Magnet ist und je mehr Wicklungen die Spule hat und je schneller beide bewegt werden, desto stärker fliesst der Strom.

Die ersten Generatoren von Michael Faraday oder Charles Wheatstone verwenden Dauermagnete aus Eisen oder Stahl. Deren Magnetfelder sind aber nicht wirklich stark. Lösungen mit Kurbeln um den Magneten zu bewegen oder mit Batterien bringen keine wirklichen Fortschritte.

Von Siemens gelingt der Durchbruch. Er erkennt, dass der im Eisen des Elektromagneten zurückbleibende Magnetismus reicht, um eine schwache Spannung zu induzieren. Er führt deshalb einen Teil des vom Generator erzeugten Stroms in den Elektromagneten zurück, was einen immer höheren Strom lieferte bis der Elektromagnet seine maximale Feldstärke erreicht. Dieses Phänomen, dass sich das Magnetfeld durch den erzeugten Strom selber verstärkt, kennt man als das dynamoelektrische Prinzip.

Werner von Siemens
Ein grosser Schritt

Die Dynamomaschine bringt einen enormen Innovationsschub für die technische und industrielle Entwicklung der Welt, vergleichbar mit der Erfindung der Dampfmaschine 100 Jahre zuvor (siehe Artikel rechts: James Watt). Siemens, der Praktiker, erkannte früh das ökonomische Potenzial seiner Erfindung. Bereits 1866 schreibt er seinem Bruder William: «Die Sache ist sehr ausbildungsfähig…der Technik sind die Mittel gegeben, elektrische Ströme von unbegrenzter Stärke auf billige und bequeme Weise überall da zu erzeugen, wo Arbeitskraft disponible ist».

Das Zeitalter der Starkstromtechnik beginnt, der Dampfmaschine erwächst Konkurrenz durch den Elektromotor. Dezentral einsetzbar verhilft er dem Handwerk und kleineren Fabriken die Produktivität zu steigern und ist Grundlage für die «zweite industrielle Revolution».

«In dem ICH WILL liegt eine mächtige Zauberkraft.»
Werner von Siemens
Der Familienmensch

Werner von Siemens wird am 13. Dezember 1816 in Lenthe bei Hannover als viertes von insgesamt 14 Kindern einer Gutspächterfamilie geboren. Weil seine Eltern kein Geld für Gymnasium oder Uni haben, verschafft sich von Siemens durch den Eintritt in die preussische Armee Zugang zu einer naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung.

1839 verstirbt seine Mutter, ein Jahr später sein Vater. Zwar werden für von Siemens noch minderjährige Brüder und die einzige Schwester Vormünder bestellt, doch als Familienmensch fühlt sich Werner von Siemens für Wohlergehen und Ausbildung dieser verantwortlich. Weil sein Sold als Offizier dafür aber nicht reicht, versucht von Siemens mit technischen Entwicklungen zu Geld zu kommen, etwa dank eines Patents für galvanische Verfahren, welches sein Bruder Wilhelm in England verkaufen kann.

Attraktiver Arbeitgeber

In Zusammenarbeit mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske gelingen von Siemens verschiedene Erfindungen im Bereich der Telegrafie (siehe Box). Sie gründen eine gemeinsame Firma, die sich von einer stark handwerklich geprägten Manufaktur (Handarbeit/keine Arbeitsteilung) zu einer Fabrik neuer Ausprägung mit einem arbeitsteiligen Produktionsprozess unter Einsatz verschiedener Maschinen und Akkordarbeit wandelt. Weil Halske dieser «Massenproduktion» ablehnend gegenübersteht, tritt er später aus der Firma aus.

Erfindungen und Projekte

Hier ein Überblick über die wichtigsten Entdeckungen und unternehmerischen Projekte von Werner von Siemens:

1842 Werner von Siemens erhält sein erstes Patent für ein galvanisches Verfahren zur Vergoldung und Versilberung.

1847 Erfindung des Zeigertelegrafen zur deutlich schnelleren Nachrichtenübermittlung.

1847 Mit Hilfe der Guttaperchapresse kann man erstmalig Telegrafenkabel, die für unterirdische Verlegung bestimmt sind, mit dem eingedickten Saft des Guttaperchabaumes isolieren.

1849 Die Firma Siemens & Halske baut die erste Ferntelegrafenlinie in Europa zwischen Berlin und Frankfurt.

1855 Fertigstellung des Telegrafennetzes (rund 10'000 km Kabel) in Russland durch Siemens & Halske.

1866 Entdeckung des dynamo-elektrischen Prinzips und Bau der ersten Dynamomaschine.

1870 Eröffnung einer Telegrafenlinie zwischen London und Kalkutta.

1874/75 Verlegung des ersten direkten Transatlantikkabels mit Hilfe eines eigens dafür gebauten Schiffes.

1879 Die erste elektronische Lokomotive der Welt wird auf der Gewerbeausstellung in Berlin vorgezeigt.

1880 Erster elektronischer Lift erlebt «Jungfernfahrt» auf einer Ausstellung in Mannheim.

1881 Die erste elektrische Strassenbahn – 2,5 Kilometer in Berlin Lichterfeld – nimmt ihren Betrieb auf.

1882 Auf dem Kurfürstendamm in Berlin fährt der erste Oberleitungsomnibus, konstruiert von Werner von Siemens.

1882 Erste ständige, elektrische Strassenbeleuchtung durch Siemens & Halske auf dem Potsdamer Platz in Berlin wird erstellt.

Von Siemens beteiligt seine Brüder massgeblich an Planung und Ausführung fast aller grösseren Projekte. Die Leitung des Unternehmens liegt aber klar bei ihm. Von Siemens pflegt einen patriarchalischen Führungsstil und kümmert sich fürsorgerisch um seine Mitarbeitenden. So gehört er zu den Mitbegründern einer Kranken- und Sterbekasse für Maschinenbauarbeiter, leitende Angestellte werden am Unternehmenserfolg beteiligt und Lohnarbeiter erhalten je nach Geschäftserfolg eine variable Prämie, später eine 13. Monatslohn. 1869 errichtet von Siemens zudem einen Unterstützungsfonds (Pensionskasse) für seine Mitarbeitenden.

Pure Selbstlosigkeit also?

Nein, wie Werner von Siemens selber sagt. Die Massnahmen dienten dazu, in Zeiten des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften, eine Stammbelegschaft aufzubauen und die Arbeiter langfristig ans Unternehmen zu bilden – es gilt ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

1890 zieht sich Werner von Siemens aus der Firma zurück, seine Söhne Wilhelm und Arnold sowie Bruder Carl Siemens übernehmen. Werner von Siemens stirbt am 6. Dezember 1892 in Berlin.

Seine Nachfolger wandeln die immer mehr im Konkurrenzkampf stehende Firma in eine Aktiengesellschaft um, und sichern so deren Überleben und Fortbestand als Weltkonzern (siehe Box unten).

Arbeiter bei Siemens & Halske in Berlin Charlottenburg. Bild: Siemens Historical Institute
Ein Weltkonzern

Die Siemens AG ist heute ein integrierter, börsenkotierter Technologiekonzern mit Sitz in München und Berlin. Der Konzern ist in 190 Ländern tätig und zählt weltweit zu den grössten Unternehmen der Elektrotechnik und Elektronik. Im Forbes Global 2000 der weltgrössten Unternehmen belegt Siemens Platz 51 (Stand 2017). Siemens ist an der Frankfurter Aktienbörse (DAX) notiert und hat einen Börsenwert von rund 100 Mrd. Euro.

1894 war Siemens erstmals mit eigenem Personal in der Schweiz tätig: Der Baustart für das Wasserkraftwerk Wynau im Kanton Bern markierte den Start­schuss für die Aktivitäten hierzulande. Heute ist das Unternehmen an mehr als 20 Standorten in der Deutschschweiz, der Westschweiz und im Tessin präsent. Im Geschäftsjahr 2017 generierte Siemens in der Schweiz einen Umsatz von rund 2,2 Milliarden Franken. Siemens beschäftigt in der Schweiz rund 5400 Mitarbeitende.

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