22.10.2018 | Aufsichtsbehörde ENSI zu 10'000 jährlichem Störfall eines Kernkraftwerks
Klartext vom Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI: Die Aufsichtsbehörde sagt, bei einem Erdbeben in einem Schweizer Kernkraftwerk, wie es alle 10'000 Jahre zu erwarten ist, wird die davon betroffene Bevölkerung nur einer minimalen zusätzlichen Strahlendosis von durchschnittlich 0,3 Millisievert ausgesetzt: "Es wären keine Verletzten oder Toten zu erwarten. Eine Evakuierung wäre nicht nötig".
Das Thema tönt technisch und trocken. Es geht um dieTeilrevision der Kernenergieverordnung und Dosislimiten bei seltenen Erdbeben. Angestossen hat diese die Revision die Eidg. Kommission für nukleare Sicherheit KNS im Jahr 2012. Sie hat damals darauf hingewiesen, dass die Schweizer Praxis im internationalen Vergleich zwar streng sei und ein gutes Sicherheitsniveau gewährleiste, in rechtlicher Hinsicht jedoch Klärungsbedarf bestehe.
Der Bundesrat tut dies nun mit seiner Teilrevision und legt die Grenzwerte gemäss der bisherigen Praxis fest. Für Störfälle, wie sie alle 1000 Jahre zu erwarten sind, bei 1 Millisievert (mSv). Bei einem Störfall, wie er alle 10'000 Jahre zu erwarten ist, beträgt die Dosislimite 100 Millisievert (mSv).
Die Anti-Atomkraftbewegung stilisiert die Revision zum Skandal hoch: Der Bundesrat setze die Bevölkerung "einem 100-fach höheren Strahlungsrisiko" aus, wird lamentiert. Zudem wurden in dieser Frage auch schon Gerichte bemüht. Am 23. Oktober findet zu diesem Thema in der Energiekommission (UREK) des Ständerats nun aufgrund eines Vorstosses von Damian Müller (FDP) eine Anhörung statt.
Axpo hat die von Kernkraft-Gegnern erhobenen Vorwürfe am Beispiel des Kernkraftwerks Beznau überprüft und entkräftet.
«Zahlen von Tausenden von zusätzlichen Krebsfällen oder gar Toten sind falsch»Hans Wanner, Direktor ENSI
Klar und deutlich widerspricht jetzt auch das ENSI den Vorwürfen der AKW-Gegner. "Zahlen von Tausenden von zusätzlichen Krebsfällen oder gar Toten, die im Zusammenhang mit der Teilrevision der Kernenergieverordnung und dem Grenzwert von 100 Millisievert genannt wurden, sind falsch", sagt Hans Wanner, Direktor des ENSI in einer Stellungnahme.
Und: "Unsere Berechnungen zeigen, dass die Gefahr sehr gering ist, die von einem Auslegungsstörfall in einem Kernkraftwerk ausgeht. Unter realistischen Annahmen wird keine einzige Person einer Strahlungsdosis von 100 mSv ausgesetzt. Es wären weder Tote noch Verletzte zu erwarten. Eine Evakuierung wäre nicht nötig".
Die ganze Stellungnahme des ENSI im Wortlaut findet man hier. Besonders erwähnenswert ist:
Das ENSI hat auf der Basis von realen Wetterdaten im Juni 2018 die Auswirkungen eines solchen Störfalls, wie er alle 10'000 zu erwarten ist, unter den ungünstigsten Wetterbedingungen für das Kernkraftwerk Gösgen berechnet. Das KKW Gösgen wurde ausgewählt, weil die nähere Umgebung dort von allen Schweizer KKW's am dichtesten besiedelt ist.
Für die maximale Dosis in der Umgebung des KKW Gösgen ergab sich dabei ein Wert von 13 mSv. Für die am nächsten lebenden Anwohner lägen die Dosiswerte unter 10 mSv. Insgesamt wären bei einem solchen Störfall 95'000 Leute potenziell von einer erhöhten Strahlenbelastung betroffen gewesen. Sie hätten gemäss ENSI im Durchschnitt eine Dosis von rund 0,3 mSv erhalten. Das entspricht einem Zwanzigstel der Strahlung welche Schweizerinnen und Schweizer pro Jahr ohnehin ausgesetzt sind (vgl. Box unten).
Das Risiko im Verlauf des Lebens an Krebs zu erkranken, beträgt gemäss Schweizer Krebsbericht (2015) ohne Störfall 47,2 Prozent für Männer und 37,6 Prozent für Frauen. Das Krebsrisiko durch die zusätzliche Strahlendosis bei einem alle 10'000 Jahre zu erwartenden Erdbeben würde sich bei den 95'000 betroffenen Personen gemäss ENSI um gegen 0,003 Prozent erhöhen – konkret müsste mit drei zusätzlich an Krebs erkrankten Personen gerechnet werden.
Übrigens: Die Mitteilung des ENSI fand wie auch eine frühere Stellungnahme (Details hier) bisher kaum Widerhall in den Medien. Ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der Anti-Atom-Lobby. Bleibt zu hoffen, dass mindestens die politischen Verantwortlichen und das Parlament die klaren Aussagen der Eidg. Nuklearsicherheitsbehörden zur Kenntnis nehmen.
Die Bevölkerung in der Schweiz ist ständig einer gewissen Strahlenbelastung ausgesetzt. Die durchschnittliche Belastung beträgt dabei laut Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI 5,8 Millisievert (mSv). Der grösste Teil davon, nämlich 3,2 mSv stammt von Radon in Wohn- und Arbeitsräumen. 1,4 mSv werden durch die medizinische Röntgendiagnostik verursacht.