28.01.2020 | Energiewende in Deutschland ist teuer und umstritten
Bis 2022 werden in Deutschland alle Atomkraftwerke stillgelegt. Bis 2038, so der Plan der deutschen Regierung, will unser Nachbarland auch schrittweise aus der Kohlekraft aussteigen. Da hat sich Deutschland etwas vorgenommen. Als Steuerzahler und Stromkunden müssen die Bürger für diese Energiewende tief in die Tasche greifen - und der politische Streit über den richtigen Weg geht weiter.
Über die Energiepolitik wird in Deutschland seit Jahrzehnten gestritten. Einst war es der Atomausstieg, der die Emotionen hochkochen liess, nun löst das geplante Ende der Kohleverstromung in Europas grösster Volkswirtschaft neue Kontroversen aus.
Zwar hat sich die deutsche Bundesregierung mit den vom Kohleausstieg betroffenen Länder (Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt) auf einen Abschaltplan für die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke und weitere Details geeinigt: Bis spätestens 2038 sollen in Deutschland die letzten Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Die betroffenen Regionen sollen in diesem Zeitraum insgesamt 40 Milliarden Euro für den Umbau ihrer Wirtschaft erhalten. Die Energieversorger RWE und EPH bekommen für die vorzeitige Stilllegung ihrer Kraftwerke Entschädigungen von zusammen 4,35 Milliarden. Den betroffenen Arbeitnehmern soll mit bis zu 4,8 Milliarden Euro der Übergang in die Rente erleichtert werden.
Klimaschützer haben den vorgelegten Plan heftig kritisiert. Sie bemängeln, dass die alten Kohlekraftwerke viel zu langsam vom Netz gehen, und sind empört, dass sogar noch ein neues Steinkohlekraftwerk - Datteln 4 in NRW - den Betrieb aufnehmen darf. Sie werfen Bund und Ländern vor, in ihre jüngste Vereinbarung nichts zum Ausbau der erneuerbaren Energien hineingeschrieben zu haben.
Beim Kohleausstieg prallen gegensätzliche Interessen aufeinander. Ökologen wünschen eine schnelle Senkung der Treibhausgase, die Landespolitiker sorgen sich - vor allem im strukturschwachen Osten Deutschlands - um die Arbeitsplätze. Die Industrie wiederum pocht auf eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete die Energiewende als "Operation am offenen Herzen der Volkswirtschaft".
Trotz schlechter CO2-Bilanz war Braunkohle lange der dominierende Rohstoff bei der Stromerzeugung in Deutschland, denn es gibt grosse heimische Vorkommen. In den vergangenen fünf Jahren ist aber der Anteil des Kohlestroms schon deutlich gesunken. 2019 stammten noch 18,8 Prozent aus Braunkohle und 9,4 Prozent aus Steinkohle, 40,1 Prozent aber schon aus erneuerbaren Energien, vor allem Windkraft.
Nach einer Untersuchung der Denkfabrik Agora ist der CO2-Ausstoss in Deutschland im vorigen Jahr um mehr als 50 Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Seit 1990 seien die Emissionen des klimaschädlichen Kohlendioxids um 35 Prozent gesunken. Der deutlich gestiegene Preis für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel habe die Stromgewinnung aus Kohle weniger rentabel gemacht, hiess es.
Daher finden Kritiker, Deutschland könnte sich den teuren, politisch verordneten Kohleausstieg eigentlich sparen. Denn wegen der steigenden Emissionspreise würden über kurz oder lang alle Kohlekraftwerke sowieso unrentabel. «Die planwirtschaftlichen Abschaltpläne sind nichts als sinnlose Milliardengeschenke für die Kraftwerksbetreiber auf Kosten der Steuerzahler», befand der FDP-Energiepolitiker Lukas Köhler. «Bund und Länder lassen es sich einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten, ein Ergebnis präsentieren zu können, das sich ohnehin von alleine eingestellt hätte», schrieb die Zeitung «Handelsblatt» in einem Kommentar.
Damit die Energiewende in Deutschland gelingt, braucht es noch viel mehr Ökostrom als bisher. Zusammen mit den ersten acht Braunkohlekraftwerken werden bis Ende 2022 auch die letzten sechs Atomkraftwerke abgeschaltet. Die Kernenergie steuerte im vorigen Jahren immer noch gut 12 Prozent zum Strommix bei.
Erneuerbare Energien aus Wind, Sonne und Biomasse wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten dank dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Deutschland massiv mit Subventionen (20 bis 25 Mio. Euro jährlich) gefördert. Bezahlt wurden diese mit einer speziellen Umlage auf den Strompreis. Konsequenz daraus: Deutschlands Bürger zahlen mittlerweile die höchsten Stromkosten in ganz Europa. Schmerzliche Standortverlagerungen im Bereich der Aluminiumproduktion und bei der Herstellung von Wafern waren schon die Folge.
Um den im Norden Deutschlands reichlich anfallenden Windstrom zu den industriellen Zentren im Süden des Landes zu transportieren, werden grosse Stromtrassen gebraucht, von denen erst ein kleiner Teil fertig ist. Nicht nur gegen diese «Stromautobahnen» regt sich Widerstand der Bürger, sondern auch gegen neue Windräder. Den Anwohnern sind sie zu laut oder zu hässlich, Tierschützer fürchten, dass die Rotorblätter seltenen Vögeln den Garaus machen. So sind es oft ausgerechnet Naturschutzverbände, die mit ihren Klagen gegen Windräder die Energiewende in Deutschland ausbremsen.
Kritiker, wie der bekannte Ökonom Hans Werner Sinn, bemängeln an der deutschen Energiewende zudem weitere technische und ökonomische Ungereimtheiten – etwa bei der langfristigen Speicherung von Strom - und plädieren deshalb für eine besonnene Kurskorrektur.
Klimawissenschaftler sagen, der Abbau weiterer Kohlereserven müsse weltweit enden, wenn es gelingen solle, den Anstieg der globalen Temperaturen auf ein akzeptables Mass zu begrenzen. Doch trotz der durch hohe Temperaturen ausgelösten Waldbrände setzt etwa Australien weiter auf Kohle und andere fossile Energien. Rund die Hälfte des im Land produzierten Stroms stammt aus Kohlekraftwerken, ein Fünftel aus Gas. Und der Export von Kohle vor allem in Länder wie China und Indien liegt bei rund 200 Mio. Tonnen (Stand 2018), was 40 Mrd. Franken entspricht. Auch das deutsche Nachbarland Polen setzt vor allem auf Kohle in der Stromversorgung, 79 Prozent des Stroms – der auch exportiert wird – stammen aus Kohelkraft.
Auch andere Staaten – allen voran die USA unter Donald Trump, aber auch China, Russland, Norwegen – setzen sich weiterhin für fossile Brennstoffe ein. Dies zeigt eine eben veröffentlichte Studie des UNO-Umweltprogramms. Ihre Ausbaupläne seien nicht mit den jeweils im Pariser Abkommen festgelegten nationalen Klimazielen vereinbar.