23.09.2020 | Der Axpo CEO im grossen Interview mit der NZZ
Es ist das erste grosse Interview von Axpo CEO Christoph Brand seit seinem Amtsantritt im April. In der NZZ spricht er über Investitionen in die Energiewende, das Wachstumspotenzial von Axpo, den künftigen Strombedarf in der Schweiz, die Vorteile einer Marktöffnung und die Zukunft der Photovoltaik.
Herr Brand, als Manager haben sei vor acht Jahren von der Telekombranche ins Mediengeschäft gewechselt und sind nun bei einem Energiekonzern gelandet. Haben Sie ein Flair für Branchen, die es derzeit besonders schwierig haben?
Ruhige Fahrwasser langweilen mich auf die Dauer. Ich finde es spannend, wenn sich Dinge in einem Unternehmen verändern, im Umbruch sind und die Aufgaben herausfordernd sind. Zu Recht wird nach dem Sinn der Arbeit gefragt. Bei der Axpo weiss ich, weshalb ich am Morgen aufstehe, denn wir sind Teil der Lösung eines grossen Problems.
Mit Jens Alder, Thomas Sieber und nun Ihnen bekleiden ehemalige Telekom-Manager Schlüsselstellen bei den Schweizer Energiekonzernen. Nur ein Zufall?
Am Ende steht das Individuum, das diesen Posten bekleidet, im Mittelpunkt. Aber klar, es gibt gewisse Parallelen. Ich habe die ganze Liberalisierung des Telekommarkts durchgemacht und gesehen, wie enorm segensreich für alle Teilnehmer eine Marktliberalisierung ist. Es hilft sicher, wenn man schon einmal durch diesen Prozess gegangen ist. Selten erlebt jemand mehrere Liberalisierungen während seiner Berufskarriere. Zudem hat im Telekomgeschäft die Übernahme neuer Technologien schon früher eingesetzt. Bei Datenthemen sind die Medien einen Schritt weiter. Und auch aus den Erfahrungen aus meiner Softwarezeit kann ich nun schöpfen.
Wie wichtig ist eine vollständige Marktöffnung im Strombereich für die Branche beziehungsweise für die Axpo?
Eine Marktöffnung ist grundsätzlich gut, nötig und angezeigt. Ich bin von Haus aus Ökonom; mich müssen Sie von den Vorteilen liberalisierter Märkte nicht überzeugen. Für die Axpo ist sie weniger wichtig, als man vielleicht meint, denn schon heute sind wir mit dem allergrössten Teil unseres Geschäfts dem Markt voll ausgesetzt. Eine Ausnahme bilden nur die privaten bzw. ganz kleinen geschäftlichen Kunden unserer Tochtergesellschaft CKW. Doch als Schweizer Staatsbürger erachte ich es als dringend notwendig, den Liberalisierungspfad endlich zu Ende zu führen.
Wie beurteilen Sie denn die derzeitige herrschende Teilmarktöffnung, die nur Grossverbrauchern die freie Wahl lässt?
In der Schweiz gibt es nach wie vor viele Stromunternehmen, die gefangene Kunden haben, aber am freien Markt Strom beschaffen können. Das führt zu einer Ungleichheit unter den verschiedenen Anbietern. Aus wettbewerblicher Optik ist das kein Zustand, wie er sein sollte. Abgesehen davon ist dies unbefriedigend für die Kunden die zu hohe Preise zahlen.
Wie gross ist denn die Chance, dass eine vollständige Marktöffnung kommt?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweiz im europäischen Umfeld eine Halbmonopol-Insel bleiben kann. Dafür sind wir zu vernetzt mit Europa, und die Vernetzung im Strombereich wird nur noch zunehmen. Eine Teilabschottung wird nicht möglich sein. Auch der Ruf der Kunden nach Wahlfreiheit nimmt zu, zu Recht, selbst wenn vielleicht nur am Ende nur eine Minderheit der Kunden den Stromanbieter wechseln wird, wie man es in der Telekomindustrie erlebt hat. Ich bin optimistisch, dass die Liberalisierung kommt. Indes muss sie richtig gemacht werden, nicht dass es wieder eine halbbatzige Geschichte wird.
«Die Schweiz kann im europäischen Umfeld keine Halbmonopolinsel bleiben. Dafür sind wir zu vernetzt.»
Ihr Vorgänger musste Axpo sanieren. In fünf Jahren wurde der jährliche Kostenblock um 730 Mio. Fr. gesenkt, trotzdem lebte man von der Substanz. Ihr Auftrag lautet, Axpo wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Welche Erwartungen haben die Eigentümer an Sie gestellt?
Ein Unternehmen will a priori wachsen. Das muss auch der Anspruch sein in einer Welt, in der der Strombedarf bis 2050 um 30 bis 75 Prozent zunehmen wird.
Ausser in der Schweiz, wo der Stromverbrauch laut der Energiestrategie 2050 zurückgehen soll.
Ich weiss nicht, ob das heute noch jemand so unterschreiben würde. Den Wandel hin zu einer Gesellschaft, die immer mehr auf Strom setzt, müssen wir mitgestalten. Für uns heisst das auch Fokussierung. Die Axpo-Gruppe ist extrem breit aufgestellt, was ein Vorteil sein kann. Aber die Aufmerksamkeit des Managements ist auch ein knappes Gut. Man kann nicht überall dabei sein und alles in der nötigen Qualität machen. Und schliesslich liegt mir eine kulturelle Weiterentwicklung am Herzen, ich sage bewusst Weiterentwicklung. Ich war extrem positiv überrascht, wie dynamisch und agil das Unternehmen schon ist. Das Bild von aussen, das gewisse Leute haben, deckt sich mit der erlebten Realität überhaupt nicht.
Sie sprechen von einer Fokussierung. Wovon wollen Sie sich trennen und nach welchen Kriterien gehen Sie dabei vor?
Aktivitäten, mit denen wir auf lange Frist kein Geld verdienen, müssen wir grundsätzlich in Frage stellen. Doch da sind wir nicht in jeder Beziehung frei. Ein Kernkraftwerk zum Beispiel können wir nicht verkaufen, selbst wenn wir es möchten. Bei der Wasserkraft haben wir Werke, die tief rot sind, bei denen aber ein Verkauf aus verschiedenen Gründen nicht realistisch ist. Dann gibt es Felder, die noch nicht rentabel sind, aber über ein grosses Wachstumspotenzial verfügen. Ein gutes Beispiel ist Wasserstoff, ein Gebiet, in dem wir heute noch fast nichts machen. Das können wir nicht links liegen lassen. Was wir in diesem Bereich genau tun werden, müssen wir noch erarbeiten. Und schliesslich müssen wir bei der Mittelallokation Prioritäten setzen.
Wie hat die Corona-Krise Axpo tangiert?
Im Gegensatz zu ganz vielen anderen Industrien geht es uns glücklicherweise gut. In Italien haben wir im Industriebereich die rückläufige Nachfrage nach Energie aber beispielsweise stark gespürt. Zudem kommt die Konkurswelle erst noch. Wir müssen also auch mit Zahlungsausfällen rechnen.
Axpo ist vollständig im Besitz der Nordwestschweizer Kantone. Strategisch werden jedoch rein unternehmerische Entscheide gefällt, zum Beispiel nur im Ausland in neue Erneuerbare investieren. Politische Abwägungen zur Realisierung der Energiestrategie 2050 sind sekundär. Bleibt dies so?
In den vergangenen zehn Jahren hat die Axpo mehrere Milliarden Franken in der Schweiz investiert, nota bene in eine Infrastruktur, die für die Versorgungssicherheit der Schweiz extrem wichtig ist. Der Grossteil der Investitionen ist ins Inland geflossen. Dumm ist natürlich, dass die Rendite auf diesen Investitionen zum Teil ein Trauerspiel ist, zum Beispiel unser Pumpspeicherkraftwerk Linth-Limmern, bei dem alle sagen, wir brauchen es als Batterie. Wobei man relativieren muss: Die Strommenge, die mit der vollständigen Entleerung von Linth-Limmern anfällt, entspricht dem, was das AKW Gösgen in dreissig Stunden schafft. Damit allein füllt man die Winterlücke nicht.
«Es ist eine traurige Realität, dass es sich in der Schweiz nicht lohnt in die Energiewende zu investieren.»
Also gibt es keine strategische Richtungsänderung?
Axpo ist ein betriebswirtschaftlich orientiertes Unternehmen, von dem die Aktionäre zu Recht eine Dividende erwarten. Die Dividende kommt aus dem Gewinn und der ergibt sich aus den richtigen unternehmerischen Entscheidungen. Es ist eine traurige Realität, dass es sich in der Schweiz nicht lohnt, in die Energiewende zu investieren. Windenergie geht nicht, weil sie niemand in seiner Nähe will und die topografischen Voraussetzungen ungünstig sind. Die Wasserkraft ist rückläufig, wir rechnen mit 3 bis 7 TWh weniger, entgegen dem, was in der Energiestrategie 2050 steht. Und sie leidet unter immer schwierigeren Bedingungen, unter anderem den Wasserzinsen, die einen Drittel der Kosten ausmachen. Niemand sonst belastet eine erneuerbare Ressource dermassen.Die Nuklearenergie wird ausphasiert, damit gehen weitere 25 TWh verloren. Für die Sektorkoppelung und Elektrifizierung des Verkehrs brauchen wir je nach Schätzung zusätzliche 13 bis 20 TWh. Am Schluss haben wir eine Diskrepanz von rund 40 TWh in 2050. Realistischerweise muss der grösste Beitrag in der Schweiz von der Photovoltaik kommen.
Wie gross ist denn hier das Potenzial der Photovoltaik
Grosse Freiflächenanlagen muss man in der Schweiz wohl vergessen. Es gab solche Projekte, sie sind an Einsprachen oder Entscheiden der Behörden gescheitert. Wir müssten akzeptieren, dass auch in den alpinen Zonen Photovoltaikanlagen stehen. Aber werden wir das tun? Es verbleiben also in erster Linie kleinere Anlagen bei den Privaten. Im Ausland gibt es genügend Beispiele, wie ein Förderregime ausgestaltet werden muss, damit Anlagen ohne Eigenverbrauch gebaut werden. Derzeit ist das bei uns viel zu wenig attraktiv.
Also einfach noch mehr Subventionen?
Als Ökonom tut es mir schon weh, dass man überhaupt über solche Förderregimes diskutieren muss. Wir wissen schon lange, wie ineffizient es ist, zu subventionieren und den Staat entscheiden zu lassen, welche Technologien gefördert werden sollen. Stattdessen sollten wir das tun, was ökonomisch am Sinnvollsten ist: Eine CO2-Steuer, die der Bevölkerung voll rückerstattet wird. Die zweitbeste Lösung ist der Handel mit Emissionszertifikaten mit genug tiefen Höchstmengen. Doch wir sehen ja, was passiert: Es werden viel zu wenig Erneuerbare zugebaut. Gleichzeitig steigt der Bedarf. Diese Rechnung geht nicht auf. Das ist allerdings kein Problem von Axpo. Wir haben weder den Auftrag, für die Versorgungssicherheit der Schweiz zu sorge, noch werden wir dafür abgegolten.
Wie gehen Sie mit dem Dilemma um?
Wir müssen offen und ehrlich darüber diskutieren. Es geht nicht um Rechthaberei, sondern um eine nüchterne Auslegeordnung der Fakten. Ich finde die ganze Energiediskussion fürchterlich ideologisiert, dafür gibt es gar keinen Grund: Der Klimawandel ist real, menschgemacht und ein Problem, Punkt. Von dieser Prämisse können wir ausgehen. Technisch würden wir die Energiewende schon hinbringen. Deshalb ist auch klar, dass die Zukunft in den erneuerbaren Energien liegt und es a priori nicht sinnvoll ist, in Europa massenhaft Gaskraftwerke zu bauen.
Ist denn das Investitionsumfeld im Ausland so viel attraktiver als in der Schweiz?
Definitiv. Dort gibt es knallharte Auktionen um gleitende Marktprämien, bei denen wir gegen Investoren antreten, die viel tiefere Kapitalkosten haben als wir. Deshalb müssen wir substanziell ins unternehmerische Risiko gehen, weil der Basispreis, den wir anbieten, nicht ausreicht. Zudem habe ich bisher noch niemanden getroffen, der von langfristig steigenden Strompreisen ausgeht, meist wird mit einer Seitwärtsbewegung gerechnet, weil in Europa derart viel Erzeugungskapazität zugebaut wird. Die regelmässig negativen Grosshandelspreise in Deutschland sind das Resultat politischer Entscheidungen. Nur in einem komplett freien Markt ohne jegliche politische Einflussnahme könnte der Erzeuger das volle Preisrisiko tragen. Doch so ist es in unserer Branche leider nicht, weil der Staat ständig etwas macht, was nicht prognostizierbar ist. Die Politik entscheidet massgeblich, wohin sich die Strompreise in der Schweiz längerfristig entwickeln. Und der Schweizer Strompreis wird in Deutschland gemacht, ob uns das passt oder nicht.
Die Energiefirmen jammern, dass sie nicht mehr genügend Geld in den Unterhalt der Wasserkraft haben, wenn sie nicht unterstützt würden?
Wir jammern nicht, wir sind einfach transparent. Ja, grosse Erneuerungsinvestitionen lohnen sich unter den tiefen Strompreisen und den regulatorischen Gegebenheiten immer weniger. Mit der Konsequenz, dass sich die Substanz langfristig leider eher schwindet. Dabei ist die Wasserkraft das Rückgrat der Schweizer Stromversorgung. Deshalb investieren wir auch im Hydrobereich in Digitalisierungskompetenz,– wenn auch noch mit einem Faktor zehn zu zögerlich. Mit einer vorausschauenden Wartung beispielsweise kann man wesentlich effizienter sein als bisher. In Sachen Datenerfassung in den Werken lasse ich mir sagen, dass die ganze Branche nicht sehr weit sei, Axpo im Vergleich aber ganz ok. In vielen Werken laufen aber noch ganz alte Computer, wenn Daten überhaupt erfasst werden. Die Ertragslage der Wasserkraft verbessert sich jedoch nicht gross, solange weiterhin ein Drittel der Kosten Wasserzinsen sind, unabhängig davon wo sich die Strompreise befinden oder wie viel Strom produziert wird.
Dieses Interview ist in der NZZ vom 21. September 2020 erschienen/Copyright: NZZ - Titel/Untertitel und Lead: ©Axpo