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30.11.2023 | “Die Lösung ist ein guter Mix verschiedener Technologien”

Christoph Brand über die Reaktion auf den neuen Power Switcher

Axpo hat ihren Stromrechner “Power Switcher” mit neuen Funktionen und neuen Szenarien weiterentwickelt. Dies hat wie erwartet zu einigen Diskussionen geführt. 10 Fragen an Axpo CEO Christoph Brand.

Lieber Christoph, der weiterentwickelte Power Switcher von Axpo hat letzte Woche Wellen geworfen. Hast du mit dieser Reaktion gerechnet?

Christoph Brand: Ja, das habe ich. Wir wollen ja Fakten aufzeigen und mithelfen, die Diskussion anzutreiben. Denn es fehlen nun mal über 50 Terawattstunden Strom bis 2050 – das ist sehr viel, viel mehr als die ganze Wasserkraft heute produziert. Und man muss leider klar konstatieren: Die Schweiz ist nicht auf Kurs.

Wo steht denn die Schweiz heute?

Die Schweiz muss entscheiden, wie die Stromversorgung der Zukunft aussehen soll. Sie muss entscheiden, mit welchem Technologiemix diese Jahrhundertaufgabe gelingen kann, wie die gewünschten Stromquellen im notwendigen Ausmass zugebaut werden sollen und welche Kosten dabei entstehen dürfen. Dabei ist das Energietrilemma aus Klimafreundlichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit möglichst optimal auszutarieren. In diese Herausforderung hinein haben wir den Power Switcher platziert. Es war also klar, dass es Reaktionen geben würde.

Bist du zufrieden mit den Reaktionen?

Im Grossen und Ganzen ja. Denn wie gesagt, eine Diskussion ist dringend notwendig. Zurzeit konzentrieren sich viele Kommentatoren noch einseitig auf die Kostenfrage. Und einmal mehr werden einzelne Technologien schon fast als Heilsbringer oder Teufelszeug dargestellt, was natürlich unsinnig ist. Ich hoffe, dass die Diskussion noch breiter geführt wird.

Wieso reicht der Fokus auf die Kosten nicht?

Natürlich sind die Kosten ein wichtiger Faktor – und es ist ja gerade auch eine zentrale neue Funktion vom Power Switcher, darüber Transparenz herzustellen. Es gibt aber auch noch andere Faktoren. Ganz wichtig ist die Akzeptanz einer Technologie. Bei Windkraft ist sie leider noch tief, obwohl diese sehr viel wertvollen Winterstrom liefern könnte und so günstig ist wie keine anderen Neubauten. Bei der Photovoltaik (PV) auf Dächern hingegen sehen wir eine sehr hohe Akzeptanz und darum geht es auch relativ schnell vorwärts. Aber besonders die kleinteilige Dach-PV hat für die Allgemeinheit höhere Kosten zur Folge als andere Technologien. Zudem generiert sie zwar viel Strom im Sommer, jedoch nicht genügend in der kalten Jahreszeit, um das Winterstrom-Problem zu lösen. Besser ist ein Mix verschiedener Technologien, die sich ergänzen.  

Die relativ tiefen Kosten von Kernkraft haben manche überrascht. Kannst du dazu etwas sagen?

Bei Kernkraft gibt es zwei Perspektiven. Wir bei Axpo sind technologieneutral, aber für ein Unternehmen wie das unsrige wäre der Bau eines neuen Kernkraftwerks der heute verfügbaren Generation und unter den aktuellen Rahmenbedingungen schlicht ein viel zu hohes finanzielles Risiko. Seit ich bei Axpo angefangen habe, wiederhole ich diese Tatsache.

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive hingegen kann es Sinn machen, die Frage aufs Tapet zu bringen. Die volkswirtschaftlichen Kosten liegen im Vergleich zu anderen Technologien im Mittelfeld und damit tiefer als bei der erwähnten kleinteiligen Dach-PV. Und es stimmt schon: Wenn man keine Anlagen in der Landschaft sehen will, die CO2-Ziele aber erreichen will und nicht zu stark auf eine Importstrategie wetten will, ja dann wird es ohne Kernkraft kaum gehen. An der betriebswirtschaftlichen Perspektive ändert das aber nichts. In der ganzen Diskussion pro und contra Kernenergie gehen aber übrigens zwei weitere wichtige Argumente vergessen.

Welche sind das?

Erstens sollte man generell nicht einen übermässigen Fokus auf eine einzige Technologie legen – egal welche. Das wäre riskant, insbesondere wenn man die Zeitachsen berücksichtigt. Wir haben im Power Switcher ein hypothetisches Szenario namens “Landschaft” mit zwei neuen Kernkraftwerken entwickelt. Die Berechnungen zeigen klar: Es bräuchte neben neuen Kernkraftwerken einen raschen und massiven Zubau von weiteren Produktionskapazitäten. Denn was passiert in der Zeit, bis neue Kernkraftwerke am Netz wären? Das dauert mindestens 20 Jahre, während derer aber die Stromnachfrage stetig steigt. Da sich die Schweiz nicht zu stark auf Importe verlassen sollte, braucht es also weitere Technologien, bis die neue Kernkraft dann auch wirklich im Netz ist.

Und der zweite Grund, warum der Fokus auf Kosten bei der Kernkraft nicht reicht?

Der zweite Aspekt ist die Akzeptanz. Kernkraft polarisiert sehr stark und daher steht neuen Kernkraftwerken noch ein langer Weg bevor. Ich erinnere daran, dass wir für ein kleines lokales Wasserkraftwerk 19 Jahre gebraucht haben, bis es vor einigen Monaten in Betrieb gehen konnte – nur noch mit einem Drittel der geplanten Leistung. Die Widerstände gegen neue Kernkraftwerke wären ziemlich sicher ein Vielfaches grösser und überregional. Da haben es andere Technologien leichter und diese könnten daher schneller ausgebaut werden. Auch schlägt das Thema des umstrittenen Abfalls auf die Akzeptanz, obwohl mit dem geologischen Tiefenlager die technische Lösung vorgezeichnet ist.

Was ist also die Lösung für die Schweiz?

Die Wahl des Strommixes ist letztlich eine gesellschaftliche Entscheidung, aber die Lösung liegt sicher in einem Mix verschiedener Technologien. Wir haben ein entsprechendes Szenario erstellt, genannt “Erneuerbare”, auf das auch unsere Strategie hier bei Axpo ausgerichtet ist. Es enthält einen unter Berücksichtigung aller Dimensionen des Energietrilemmas diversifizierten Mix. Das Szenario erfordert aber einen sehr deutlichen Zubau bei allen erneuerbaren Energien. Und es trifft die Annahme, dass Gaskraftwerke ab den 2040er Jahren CO2-neutral betrieben werden können, was wir heute noch nicht mit Sicherheit wissen. 

Treten wir wieder einen Schritt zurück und betrachten den Power Switcher. An wen richtet er sich?

Er richtet sich an alle, die eigene Szenarien faktenbasiert erstellen sowie mehr über die Szenarien anderer Personen und Organisationen erfahren wollen. An alle, die ein innovatives Instrument nutzen wollen, um den Strommix der Zukunft unter Berücksichtigung von Abhängigkeiten und Kosten zu modellieren.

Auf welcher Datengrundlage beruht der Power Switcher?

Wir haben monatelang zahlreiche Studien durchforstet und unseren Berechnungen zugrunde gelegt. Sie sind in den Quellenangaben aufgeführt. Die Methodik des Power Switchers wurde zudem von der ETH Zürich überprüft. 

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