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26.04.2024 | Natur- und Landschaftsschutz wird nicht ausgehebelt

Stromgesetz – Ein Hauptargument der Gegner auf dem Prüfstand

Am 9. Juni stimmt die Schweizer Bevölkerung über das Stromgesetz ab. Die Vorlage hatte bei der Verabschiedung im Parlament im September 2023 breite Unterstützung genossen. Im Januar ist allerdings das Referendum gegen die Vorlage zustande gekommen. Die Gegner befürchten unter anderem, der Natur- und Landschaftsschutz würde ausgehebelt. Ein Blick in die Details zeigt jedoch etwas anderes. Ein Faktencheck.

Das Parlament hat mit dem Stromgesetz  (Mantelerlass) am 29. September 2023 das für die Stromversorgung der Schweiz wichtigste Gesetzespaket der letzten Jahre verabschiedet. Nach langen Verhandlungen im Parlament wurde das Paket in der Schlussabstimmung im Nationalrat mit 177:19 Stimmen und im Ständerat mit 44:0 Stimmen deutlich angenommen. Am 18. Januar 2024 ist das Referendum gegen das Stromgesetz zustande gekommen. Die Gegner sehen mit der Vorlage den Natur- und Landschaftsschutz gefährdet. Stromproduktionsanlagen würden neu einen generellen Vorrang gegenüber anderen Umweltinteressen geniessen, heisst es. Ein Blick in die Details zeigt jedoch ein anderes Bild.

 

Interessensvorrang nur in ausgewählten Gebieten

Gemäss Stromgesetz sind erneuerbare Stromproduktionsanlagen nur dann von «grundsätzlich übergeordnetem Interesse», wenn sie in von den Kantonen explizit dafür ausgewiesenen «geeigneten Gebieten» liegen. Es gibt somit zwei Mechanismen, welche weiterhin eine ausgewogene Interessensabwägung sicherstellen. Erstens müssen die Kantone bereits bei der Festlegung der geeigneten Gebiete eine Interessensabwägung vornehmen und schützenswerte Gebiete ausnehmen. Zweitens gilt das übergeordnete Interesse nur grundsätzlich. Es wird also weiterhin eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen, bei welcher andere Interessen immer noch schwerer wiegen können. 

Ein allfälliges übergeordnetes Interesse ändert zudem nichts daran, dass weiterhin ein Bewilligungsverfahren mit Einsprachemöglichkeiten durchgeführt wird. Das Ausweisen geeigneter Gebiete führt aber dazu, dass vermehrt eine gesamtheitliche Planung auf Kantonsebene vorgenommen wird, welche eine bessere Abwägung des öffentlichen Guts der Versorgungssicherheit mit verschiedenen lokalen Interessen erlaubt.

Grundsätzlich übergeordnetes Interesse erhalten auch 16 Wasserkraftprojekte, welche im Anhang des Gesetzes aufgeführt werden. Diese Projekte wurden am sog. «Runden Tisch Wasserkraft», einem von der damaligen Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) einberufenen Gremium bestehend aus Strombranche, Natur- und Umweltschutzverbänden sowie Kantonen, ausgewählt. Die Projekte haben damit bereits eine Abwägung zwischen zusätzlichem Winterstrom und Umweltverträglichkeit durchlaufen. Bei ihrer Umsetzung sind mit Blick auf den Naturschutz zusätzliche Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen vorgesehen.

 

Interessensabwägung überhaupt ermöglichen

Mit zwei weiteren Änderungen will das Stromgesetz die grundsätzliche Bewilligungsfähigkeit von Stromproduktionsanlagen verbessern. Mit diesen Änderungen wird eine Interessensabwägung überhaupt erst ermöglicht.

Zum einen werden vereinzelte Ausnahmen vom generellen Bauverbot in gewissen Schutzgebieten geschaffen. Dieses aktuell herrschende Bauverbot gilt nur für Anlagen erneuerbarer Energien, nicht aber für andere Bauten, und schliesst eine Interessensabwägung gänzlich aus. Das Stromgesetz will neu gezielte Ausnahmen zulassen, insb. um die Projekte des Runden Tisches Wasserkraft zu ermöglichen. Die Projekte müssen aber trotzdem ein Bewilligungsverfahren mit entsprechender Interessensabwägung durchlaufen. 

Zum anderen werden im Stromgesetz Voraussetzungen für die sog. Standortgebundenheit von erneuerbaren Energieanlagen definiert. Die Standortgebundenheit ist eines der beiden Kriterien für die Bewilligung einer Anlage ausserhalb der Bauzone; das zweite ist eine erfolgreiche Interessensabwägung zugunsten der Anlage. Insbesondere für Solaranlagen ist das Kriterium der Standortgebundenheit nicht sinnvoll und bisher kaum zu erfüllen: Da die Sonne überall scheint, könnte man theoretisch auch immer an einem anderen Ort bauen. Mit dieser Logik wird dann aber am Ende gar keine Anlage gebaut. Bei der Definition der Voraussetzungen für die Standortgebundenheit wurde der Natur- und Landschaftsschutz aber wiederum berücksichtigt. Beispielsweise muss eine Solanlage u.a. in «wenig empfindlichen» oder bereits bebauten Gebieten liegen. Bei Windkraftwerken im Wald sind wesentliche Schutzgebiete ausgenommen. Selbst wenn eine Anlage als standortgebunden gilt, bleibt die erfolgreiche Interessensabwägung als zweites Kriterium weiterhin bestehen.

 

Ein ausgewogener Kompromiss für mehr Versorgungssicherheit

Bei einem Blick in diese Details sollte klar werden, dass das Parlament mit dem Stromgesetz nicht den Natur- und Landschaftsschutz ausgehebelt, sondern einen ausgewogenen Kompromiss geschaffen hat. 

Das Stromgesetz hat zum Ziel, mehr Stromproduktionsanlagen – zu einem Grossteil auf, aber auch ausserhalb von Infrastrukturen – zu ermöglichen. Ein solcher Zubau ist mit Blick auf die zukünftige Versorgungssicherheit der Schweiz dringend notwendig. Wir brauchen bis 2050 voraussichtlich 50 TWh zusätzliche Stromproduktion pro Jahr und einen möglichst grossen Teil davon im Winter. Nur dadurch lässt sich der steigende Strombedarf aufgrund der Elektrifizierung decken und eine zunehmende Importabhängigkeit vermeiden. Ein Mix verschiedener Technologien und Anlagen, mit entsprechend unterschiedlichen Grössen, Standorten und Produktionsprofilen, ist dabei die Basis für eine sichere und kostengünstige Stromversorgung. 

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