21.03.2025 | Trotz Krisen: Warum die Energiewende schneller vorankommt als gedacht
Extreme Wetterereignisse und steigende Temperaturen zeigen: Der Klimawandel ist da. Während Herausforderungen wachsen, schreitet der Umbau der Energieversorgung stetig voran – neue Technologien, massive Investitionen und ein Umdenken in Politik und Wirtschaft zeigen Veränderung. Der Weg zur Dekarbonisierung bleibt ein Balanceakt zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit – aber es geht voran. Was das genau bedeutet und welche Rolle Axpo dabei spielt erklärt Philipp Näf, Head Group Sustainability, im Interview.
In den letzten Jahren haben wir immer wieder Temperaturrekorde und viele Extremwetterereignisse erlebt. Ist es zu spät, um den Klimawandel zu bremsen?
Es ist definitiv keine positive Entwicklung, wenn man sich die globalen Temperaturrekorde und die Häufung von Naturereignissen anschaut. Die Eindämmung des Klimawandels und die Dekarbonisierung bleiben eine enorme Herausforderung – besonders im Kontext von globalem Bevölkerungswachstum und steigendem Wohlstand. Dennoch muss man auch die positiven Entwicklungen sehen. Wenn wir einen Blick auf die letzten 25 Jahre werfen, stellen wir fest, dass bereits sehr viel passiert ist.
Wo genau lässt sich denn ein Fortschritt erkennen?
Zum Beispiel beim Ausbau erneuerbarer Energien: Der Anteil der Erneuerbaren am Strommix ist heute massiv höher, als wir im Jahr 2000 noch gedacht hätten. In der EU machen Solar und Wind bereits fast 30% der Stromproduktion aus und mit weiteren erneuerbaren Quellen sind wir heute schon bei 45% – im Jahr 2000 standen wir noch bei 15%. Auch in anderen Teilen der Welt gibt es Fortschritte: China baut zwar neue Kohlekraftwerke, um den eigenen steigenden Strombedarf zu decken, gleichzeitig hat das Land im Jahr 2023 aber auch 340 GW Wind und Solar installiert – doppelt so viel wie der Rest der Welt zusammen. Der Trend geht in die richtige Richtung, was durchaus Hoffnung für die Zukunft gibt und auch für Axpo von Bedeutung ist. Der Zubau erneuerbarer Energiequellen ist ein Hauptpfeiler unserer Strategie. Jahr für Jahr bauen wir vor allem Wind- und Solarkapazitäten aus. Allein im letzten Jahr waren es über 300 MW.
Quelle: EU Electricity Trends (European Electricity Review)
Sind auch technische Innovationen entscheidend für diesen Fortschritt?
Absolut, technologischen Innovationen kommt eine Schlüsselrolle zu. Neuen Technologien an sich, aber auch der Weiterentwicklung und der Möglichkeit zur Skalierung und Kostensenkung bei einzelnen Technologien. Um nur ein Beispiel zu nennen: Speicherkapazitäten wie Batterien sind gerade ein grosses Thema, da die Kosten drastisch gesunken sind und sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben. In den letzten rund zehn Jahren sind die Kosten bei der Batteriespeicherung um über 80% gefallen. Entsprechend baut auch Axpo ihre Aktivitäten in diesem Bereich weiter aus. Letztes Jahr konnten wir eine 20 MW Anlage im schwedischen Landskrona in Betrieb nehmen. Weitere solche Projekte sind im Gang.
In der öffentlichen Diskussion geht es immer wieder um Technologien wie Windkraft oder neue Atomkraftwerke. Welche Technologie ist deiner Meinung nach am nachhaltigsten?
Nachhaltigkeit hat viele verschiedene Dimensionen, daher ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten. Was mir allerdings auffällt, ist, dass in der Öffentlichkeit oft die negativen Aspekte jeder Technologie im Vordergrund stehen. Bei der Windkraft zum Beispiel hört man Bedenken wegen der Beeinträchtigung der Landschaft, bei Kernenergie wird über die Herkunft der Brennstoffe oder die Entsorgung der Abfälle diskutiert. Aus einer Nachhaltigkeitssicht hat jede Technologie ihre Vor- und Nachteile, und es ist entsprechend auch einfach, sie zu kritisieren. Häufig wird die Diskussion auf CO2-Emissionen reduziert, aber es gibt auch andere relevante Aspekte.
Welche da wären?
Etwa die Auswirkungen auf die Biodiversität, Ressourcennutzung, Luftverschmutzung oder die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette. Auch wenn die Dekarbonisierung eine zentrale Herausforderung ist, müssen wir aufpassen, dass wir nicht in der sogenannten «Carbon Tunnel Vision» steckenbleiben und ausschliesslich auf CO2 schauen. Was nun die «nachhaltigste» Technologie ist, hängt also von den Kriterien ab, die man anlegt. Wenn man zum Beispiel die weltweiten Sterblichkeitsraten und CO2-Emissionen über den Lebenszyklus von verschiedenen Technologien miteinander vergleicht, sieht man, dass beispielsweise Wind, Solar und insbesondere auch Kernenergie gut abschneidet.
Quelle: Safe Sources of Energy (Our World in Data)
Und es gibt noch viele weitere Möglichkeiten zur Bewertung von «Nachhaltigkeit»?
Ja, da gibt es sehr unterschiedliche Ansätze. Eine Betrachtungsweise wäre beispielsweise die «Methode der ökologischen Knappheit», die ein breites Spektrum an Umweltbelastungen berücksichtigt und diese in einer Kennzahl, den sogenannten Umweltbelastungspunkten zusammenfasst. Im Rahmen einer Ökobilanzierung werden die Wirkungen von verschiedenen Emissionen, Ressourcennutzung und Abfällen quantifiziert und gewichtet. Mit diesem Blickwinkel auf die verschiedenen Produktionstechnologien schneidet die Laufwasserkraft am besten ab, dafür die Kernkraft deutlich schlechter. Natürlich bieten all diese Methoden immer nur eine Annäherung – in der Realität hängt auch sehr viel von den spezifischen lokalen Gegebenheiten ab. Und - wie bei jeder Studie oder Statistik - stellt sich immer auch die Frage, welche Datenquellen berücksichtigt oder wie beispielsweise die Systemgrenzen gezogen wurden. Welche Technologie also am «nachhaltigsten» ist, hängt vom spezifischen Fokus bzw. der Betrachtungsweise ab.
Quelle: Umweltbilanz Strommix Schweiz 2018 (BAFU)
Die EU hat kürzlich Gas und Nuklear als grün eingestuft. Was hat es damit auf sich?
Die EU-Taxonomie ist ein schönes Beispiel dafür, wie komplexe Themen in der Öffentlichkeit vereinfacht dargestellt werden und so Risiken für Fehlinterpretationen entstehen. Besagte Taxonomie gibt einen Rahmen vor, um «nachhaltige» Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der EU allgemeingültig zu klassifizieren. Es geht darum, Anlegern und Anlegerinnen Orientierung zu geben und Anreize zu schaffen für Investitionen in den Umbau der Wirtschaft. Dafür müssen wirtschaftliche Aktivitäten aber klare Voraussetzungen erfüllen. In diesem Kontext hat die EU-Kommission entschieden, Investitionen in Erdgas- und Atomkraftaktivitäten unter spezifischen Bedingungen als taxonomiefähige Übergangstätigkeiten einzustufen. Diese Bedingungen beinhalten tiefe Emissionsgrenzwerte, strenge Sicherheitsbestimmungen und weitere Umweltauflagen. Die Entscheidung wurde von diversen Interessenverbänden stark kritisiert und über Monate kontrovers diskutiert.
Würdest du Gas und Nuklear also als «grün» bezeichnen?
Nein, das würde ich persönlich nicht. Eine solche pauschale Bezeichnung wäre zu vereinfachend und blendet wichtige Einschränkungen aus. Gas und Nuklear können nur in einem bestimmten Kontext und unter spezifischen Bedingungen als nachhaltige Wirtschaftstätigkeit eingestuft werden. Und das ist ein wichtiger Punkt, den wir in der Diskussion rund um «Green Claims», also Nachhaltigkeitsbehauptungen, beachten sollten. Wir müssen mit unseren Bezeichnungen und Formulierungen generell präziser und vorsichtiger werden.
Wie kommen wir nun ans Ziel? Was sind die nächsten Schritte?
Das sogenannte Energy Trilemma zeigt es schon recht deutlich: Es geht nicht nur um die Dekarbonisierung, sondern auch um die Sicherstellung der Energieversorgung sowie die Gewährleistung der Erschwinglichkeit von Energie. Wir müssen einen gesellschaftlichen Diskurs führen, um eine Balance zu finden zwischen den verschiedenen, sich zum Teil entgegenlaufenden Interessen. Zielkonflikte werden bestehen bleiben, aber wichtig ist, dass wir vorankommen. Der Fokus sollte darauf liegen, Lösungen zu finden, statt sich immer wieder auf die negativen Aspekte zu stürzen.
Was stimmt dich angesichts all dieser Herausforderungen positiv?
Es gibt tatsächlich viele Gründe, optimistisch zu sein. Wir haben als Gesellschaft schon enorm viel erreicht und einen unglaublichen Fortschritt erlebt. In Gesprächen ermuntere ich die Leute jeweils sich zurückzuerinnern, wie die Welt vor 25 Jahren ausgesehen hat: Es gab erste Nokia Handys, noch keine Euro-Währung und Google wurde aus einer Garage betrieben. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten 25 Jahren noch viel mehr erreichen können – neue Technologien, Innovationsgeist und die hohe Rate des Wandels geben mir Hoffnung. «Doomism», also die Vorstellung, dass alles verloren ist, hilft niemandem weiter.
Spürst du diesen Glauben an den Fortschritt auch bei Axpo?
Absolut! Wir bei Axpo glauben an die Energiewende und leisten unseren Beitrag zum Gelingen: Wir investieren gezielt in innovative Energielösungen – ob Batteriespeicher, Wasserstoff oder grossflächiger Ausbau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig setzen wir auf smarte digitale Lösungen, die unsere Netze effizienter und widerstandsfähiger machen. Und wir unterstützen unsere Kunden mit nachhaltigen Energielösungen bei ihrer Dekarbonisierung. Mit unserer Netto-Null-Ambition verfolgen wir zudem das Ziel, bereits bis 2040 unsere eigenen Emissionen auf null zu senken und bis 2050 die gesamte Wertschöpfungskette zu dekarbonisieren. Das zeigt: Wir stehen nicht nur vor Herausforderungen, sondern vor der Möglichkeit, aktiv zu gestalten – und genau das tun wir. Es liegt noch viel Arbeit vor uns und die Hürden sind hoch, aber die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.