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30.09.2022 | Netze: Warum die Spannungsumstellung von 50 auf 110 kV zentral ist

«Ohne starkes Netz keine sichere Stromversorgung»

Ein starkes, leistungsfähiges Netz ist fundamental für die sichere Stromversorgung, es zu gewährleisten braucht Jahre vorausschauende Planung. Wie Axpo ihr Netz auf die Herausforderungen der Energiezukunft vorbereitet, erklären Ivo Müller, Leiter Betrieb & Instandhaltung, und Jörg Kottmann, Leiter Asset Management.

Ivo, die Aussicht auf einen möglichen Strommangel im Winter sorgt für Schlagzeilen. Welche Rolle spielt dabei das Netz? 

Der Blick auf das Gesamtsystem ist wichtig, denn: Ohne stabiles Netz, keine sichere Stromversorgung. Damit das Netz aber stabil arbeitet, es also nicht zu Unterbrüchen kommt, muss einerseits immer genau so viel Strom eingespeist werden, wie gerade verbraucht wird. Andererseits muss das Netz die notwendigen Kapazitäten bereitstellen, um den benötigten Strom zu jeder Zeit sicher transportieren zu können. 

Und wo liegt die grössere Herausforderung – auf der Energie- oder auf der Netzseite?

IVO: Der Strommangel ist in der Tat ein Problem auf der Energie- und nicht auf der Netzseite. Dies bedeutet, dass der Strombedarf durch die verfügbaren Produktionskapazitäten und Importe über eine längere Zeit nicht vollständig gedeckt werden könnte. In diesem Jahr sind die Risiken für eine Strommangellage tatsächlich stark gestiegen.

Was bedeutet dies für Axpo als Netzbetreiber auf der Versorgungsebene?

IVO: Der Bundesrat hat verschieden Bewirtschaftungsmassnahmen – also Verbote, eine Kontingentierung oder zyklische Netzabschaltungen – beschlossen, die er im äussersten Notfall als Verordnung in Kraft setzen wird. Wie jeder Netzbetreiber ist auch Axpo Teil der Umsetzungsorganisation OSTRAL, der Organisation der Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen, und hat sich darauf vorbereitet, um diese Massnahmen möglichst reibungslos umzusetzen. So haben wir zum Beispiel Netzabschaltpläne erarbeitet, damit wir unsere Mittelspannungsnetze in kleine Teilnetze auftrennen und die einzelnen Teilnetze gemäss den Vorgaben der Bewirtschaftungsverordnung (BVO) abschalten können. Dies werden wir natürlich nur umsetzen nachdem der Bundesrat die entsprechende BVO in Kraft gesetzt hat.

Was sind die hauptsächlichen Faktoren für den Stromhunger?

JOERG: Der Ersatz von Öl- und Gasheizungen mit Wärmepumpen entwickelt sich rasant. Dies führt zu einer steigenden Nachfrage nach Strom. Einen ähnlichen Effekt erleben wir bei der Elektromobilität. Allein aufgrund des Substitutionseffekts wird sich der Verbrauch an elektrischer Energie überproportional zum Gesamtenergieverbrauch entwickeln. Die Zahl der neu zugelassenen Elektroautos steigt rapide an. Hinzu kommt die Digitalisierung unserer Gesellschaft. Bereits heute machen sich beispielsweise die zusätzlichen Leistungen von Rechencentern bemerkbar, die im Versorgungsgebiet der Axpo in Betrieb gegangen sind und gehen werden. Deren Spitzenlasten allein ergeben in Summe über 10 Prozent der Gesamtlast. Die Belastung der Netze nimmt so von Jahr zu Jahr zu.

IVO: Eine weitere Herausforderung für das Netz liegt in der Dezentralisierung der Stromproduktion, insbesondere der geplante Ausbau der Photovoltaik-Anlagen. Das System wird sich immer mehr von der zentralen, vorhersehbaren zur dezentralen, volatilen Stromerzeugung wandeln. Dies funktioniert nicht ohne ein starkes, leistungsfähiges Netz. Es ist fundamental für eine erfolgreiche Energiezukunft.

Und verfügen wir über dieses Netz?  

JOERG: Axpo hat bereits seit Mitte der 1980er Jahre – damals noch als NOK – angefangen, etappenweise ihr gesamtes überregionales Verteilnetz von 50 auf 110 Kilovolt auszubauen. Bereits damals nahm der Stromverbrauch markant zu. Dank der weitsichtigen Planung der damaligen Verantwortlichen sind wir heute auf gutem Weg. Bis in rund fünf Jahren wird das Grossprojekt Spannungsumstellung abgeschlossen sein. Wir sind überzeugt, dass wir damit die Anforderungen der Energiewende erfüllen können. Natürlich werden auch danach Investitionen zur Optimierung und Modernisierung des Netzes folgen.

Wo seht Ihr Stolpersteine, die Spannungsumstellung vollständig abzuschliessen?

JOERG: Eine grosse Herausforderung sind die langwierigen Plangenehmigungsverfahren. Stromleitungen müssen gemäss gesetzlichen Vorgaben im Grundsatz verkabelt werden, sofern die Mehrkosten gegenüber einer Freileitung den Faktor zwei nicht überschreiten. Bei der Planeingabe beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat ESTI sind entsprechende Varianten darzulegen. Trotz dieser Vorgabe, die Verkabelungen begünstigen soll, ist keine Beschleunigung der Verfahren spürbar. Hinzu kommen weitere gesetzliche Anforderungen und Einsprachen, die die Projekte um Jahre verzögern können.

Wie aber trägt eine Spannungsumstellung konkret zur Versorgungssicherheit bei?

JOERG: Anstatt weitere konventionelle und grössere Netze zu bauen, bauen wir die bestehenden Verteilnetze so um, dass mehr Strom transportiert werden kann. Mit der Spannungsumstellung von 50 auf 110 kV verdoppeln wir die Leistung, die wir im Netz transportieren. Gleichzeitig reduzieren wir die Netzverluste um 75 Prozent. Die Spannungsumstellung ist ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll. Damit sichern wir ein leistungsfähiges, sicheres und effizientes Netz auch in der Zukunft.

Axpo «fährt» auf Hauptstrassen

Die Netzinfrastruktur von Axpo deckt mit ihren überregionalen Verteilnetzen vor allem die Hochspannung ab, das sind quasi die Hauptstrassen, vergleicht man das Strom- mit unserem Strassennetz. Über die eigenen Verteilnetze ist Axpo an einem Ende mit dem Übertragungsnetz der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid verbunden, am anderen Ende mit den Verteilnetzen der Abnehmer, also den kantonalen und regionalen Elektrizitätswerken. Swissgrid ist dabei für das 380 kV- bzw. 220 kV-Netz zuständig. Das sind die Autobahnen. Die kantonalen und regionalen Elektrizitätswerke sind für die Feinversteilung verantwortlich. Sie transportieren den Strom bis zu unseren Steckdosen. Ihr Netz entspricht den Regional- und Quartierstrassen. 

Behördliche Grundlagen für Netzplanung stehen

Der Bundesrat will die Planung der Stromnetze auf die künftige Entwicklung im Energiesektor ausrichten. Die Grundlage dazu bildet der energiewirtschaftliche Szenariorahmen 2030/2040. Er wird alle vier Jahre überprüft und nachgeführt. Es obliegt den Netzbetreibern wie Axpo, wie sie die nationalen Vorgaben aus dem Szenariorahmen auf ihre Netzgebiete und Netzknoten übertragen. Sie tragen auch die Kosten für den Um- und Ausbau der Stromnetze in der Schweiz. Die Vorgaben fliessen in die anschliessende periodische Mehrjahresplanung der Netzbetreiber ein. Der Bundesrat wird den Szenariorahmen voraussichtlich 4. Quartal 2022 genehmigen. Damit verfügen die Netzbetreiber über eine wesentliche Grundlage, um ihre Netzplanung zu erarbeiten oder zu aktualisieren. 

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