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27.10.2022 | Wieso wir dringend mehr Agrophotovoltaik in der Schweiz brauchen

Oben Solarstrom – unten «Erdbeeri»

Spätestens seit dem Beschluss der Energiestrategie 2050 ist klar, dass der Anteil an erneuerbaren Energien schleunigst zunehmen muss. Dabei spielt Solarenergie hierzulande eine zentrale Rolle, denn sie hat das grösste Wachstumspotenzial. Das gilt auch für Agrophotovoltaik, also Freiflächen-Solaranlagen auf Landwirtschaftsflächen. Jetzt fehlen nur noch bessere gesetzliche Rahmenbedingungen für deren Ausbau.

Bis 2050 will der Bundesrat 40 Prozent des Schweizer Elektrizitätsbedarfs aus Solarstrom gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neue leistungsstarke Freiflächen-Solaranlagen gebaut werden. Eine interessante Lösung hierbei bietet Agrophotovoltaik, also die Kombination aus Landwirtschaft und Photovoltaik. Diese Art Solaranlage ist gleich doppelt sinnvoll. 

So funktioniert Agrophotovoltaik

Das Prinzip von Agrophotovoltaik (Agri-PV) ist einfach: Agri-PV sind Solaranlagen auf Landwirtschaftsflächen, die oben durch die Sonneneinstrahlung Strom gewinnen, während unten Kartoffeln, Gerste oder Erdbeeren wachsen. Das Land darunter kann auch als Weideland für Kühe und Schafe genutzt werden. Diese Kombination führt nicht nur zu mehr Solarstrom, sondern begünstigt auch die Biodiversität und wahrt den Ressourcenschutz in der Landwirtschaft. Da die Photovoltaikmodule der untenliegenden Saat Schatten werfen, kann der Bedarf an Bewässerung gesenkt werden und die Ernte kann sogar besser gedeihen (vgl. ZHAW 2021). 

Unter der Agri-PV-Anlage in Gelsdorf (DE) wächst Obst. Bild: Fraunhofer ISE

Die Agri-PV begünstigt neben der Ökologie aber auch die Akzeptanz gegenüber den Freiflächen-Solaranlagen, da sie keine Fläche blockieren, sondern eine bereits genutzte Fläche lediglich überdachen. Diese Art der Solarenergie spart Platz, und es geht keine landwirtschaftliche Nutzfläche verloren. Eine Win-Win-Situation also (vgl. ZHAW 2021).

Starker Zubau von Solarstrom

Mittlerweile sind auf der ganzen Welt bereits zahlreiche Agro-Photovoltaik-Anlagen mit insgesamt 14 GW Leistung in Betrieb (vgl. Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE 2022). Auch in der Schweiz werden zurzeit viele entsprechende Projekte lanciert. Ende 2021 deckte der gesamte einheimische Solarstrom 4.89 Prozent des Schweizer Elektrizitätsbedarfs (vgl. BFE 2022). In der Schweiz gibt es aktuell rund 140'000 installierte Solaranlagen, die 3.3 TWh Strom produzieren (vgl. UVEK 2022). Mit der Energiestrategie 2050+ beschloss der Bundesrat 2021, die PV-Produktion bis 2035 auf 14 TWh zu verfünffachen. Bis 2050 sollen nochmals rund 20 TWh ausgebaut werden. Damit soll Solarstrom letztlich bis 2050 gut 40 Prozent des Schweizer Strombedarfs decken.

Schweiz nutzt Agri-PV für Beeren und Salat

Obwohl im Moment die meisten Agri-PV-Anlagen noch in Asien stehen, werden in Europa und auch zunehmend in der Schweiz Testanlagen gebaut. Seit 2021 gibt es beispielsweise die Pilotanlage des bundeseigenen Forschungsinstituts Agroscope in Conthey (VS), welche auf 165 m² Erdbeer- und Himbeerpflanzen mit Modulen des Westschweizer Start-ups Insolight überdacht. Die erste Ernte im Herbst 2021 fiel erfreulich aus. Die Qualität der Früchte und ihre Grösse waren laut der Forschungsgruppe ausgezeichnet (vgl. Baublatt 2022).

Die Pilotanlage Agroscope im Wallis produziert ca. 110 kWh/m2 pro Jahr. Bild: Agroscope

In der Deutschschweiz wies die ZHAW in der eigenen Versuchsanlage in Wädenswil nach, dass Nüsslisalat unter Solarmodulen besser gedeiht.

Eine andere Form von Agri-PV sind Solaranlagen auf Gewächshäusern. Axpo hat mit ihrer Tochtergesellschaft Urbasolar in Frankreich grosse Erfahrungen mit solchen Solaranlagen. Bereits 20 Gewächshäuser wurden mit Solarmodulen ausgestattet, zehn weitere PV-Anlagen auf Gewächshäusern befinden sich in Bau oder in der Entwicklung. Mehr dazu lesen Sie hier.

Das Potenzial ist somit vorhanden, jetzt geht es nur noch um die rechtliche Machbarkeit von Freiflächen-Agri-PV. Diese wurden gerade gelockert, aber der Bau von Agri-PV ist nur möglich, sofern sie in wenig empfindlichen Gebieten Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirken oder entsprechende Versuchs- und Forschungszwicken dienen (vgl. Raumplanungsverordnung, Art. 32 c RPV).

Ob es solche Gewächshäuser wie in Frankreich auch bald in der Schweiz gibt, wird sich zeigen. Bild: Urbasolar
Geltendes Recht ermöglicht neu auch gewisse Freiflächen-PV-Anlagen ausserhalb der Bauzone

Seit der Revision der Raumplanungs-Verordnung, die seit Juli 2022 in Kraft ist, sieht es besser aus für die Agri-PV. Neu wurden Solaranlagen auch über Grünflächen zugelassen, allerdings an Bedingungen geknüpft. So mussten die Anlagen in wenig empfindlichen Gebieten liegen und dazu Vorteile für die Landwirtschaft bieten oder Versuchs- und Forschungszwecken dienen. Freiflächen-PV-Anlagen in der Landwirtschaftszone, welche die landwirtschaftliche Produktion nicht steigern, z.B. auf unbenutzten Steilhängen, sind jedoch weiterhin nicht bewilligungsfähig (vgl. Swisssolar 2022).

In der Herbstsession 2022 hat der Ständerat im Zuge des sog. «Mantelerlasses», d.h. der Revision des Stromversorgungsgesetzes und des Energiegesetzes, Änderungen am Raumplanungsgesetz diskutiert, welche die Bewilligungsfähigkeit von PV-Anlagen in Landwirtschaftszonen und ausserhalb von Bauzonen stärken will. Agri-PV-Anlagen sollen erlaubt sein, wenn sie dem «landwirtschaftlichen Interesse» dienen. Solaranlagen ausserhalb Bau- und Landwirtschaftszonen sollen in wenig empfindlichen und einfach zu erschliessenden Gebieten möglich sein. Der Mantelerlass wird nächstes Jahr im Nationalrat behandelt werden.

Alpine Solaranlagen für mehr Winterstrom

Zur Versorgung im Winterhalbjahr können auch grosse Alpin-PV-Anlagen einen wesentlichen Beitrag leisten, die das Parlament mit einem dringlichen Beschluss ermöglicht. Es ist zu begrüssen, dass solche Anlagen als standortgebunden und von grundsätzlich übergeordnetem nationalen Interesse gelten. Die Regelungen sind aber bis Ende 2025 befristet und es gilt sicherzustellen, dass auch mittel- bis langfristig die Bewilligungsfähigkeit von erneuerbaren Anlagen verbessert wird. 

Die Bewilligungsverfahren bleiben die zentrale Herausforderung bei der Realisierung entsprechender Projekte. Weitere Schritte zur Beschleunigung sind dringend nötig. Es liegt in den Händen der Politik, wie sich die Energieproduktion der Schweiz entwickelt. Axpo setzt sich weiterhin dafür ein, dass sich grosse Solaranlagen (Agri-PV / Freiflächen / Alpinsolar) auch hierzulande vollständig etablieren können. 

Dynamische Entwicklung

Agrophotovoltaik (Agri-PV) nennt man die gleichzeitige Nutzung von Flächen für die landwirtschaftliche Pflanzenproduktion (Photosynthese) und die PV-Stromproduktion (Photovoltaik). Agri-PV deckt ein breites Spektrum in der Intensität landwirtschaftlicher Nutzung und im Mehraufwand für den PV-Anlagenbau ab. Es reicht von intensiver Ackerkultur mit speziellen PV-Montagesystemen bis zu extensiver Beweidung mit marginalen Anpassungen auf der PV-Seite. Damit steigert Agri-PV die Flächeneffizienz und ermöglicht, PV-Leistung auszubauen bei gleichzeitigem Erhalt fruchtbarer Ackerflächen für die Landwirtschaft oder in Verbindung mit der Schaffung artenreicher Biotope.

Die Agri-PV-Technologie hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt und in fast allen Regionen der Welt verbreitet. Die weltweit installierte Agri-PV-Leistung stieg exponentiell von ca. 5 MW im Jahr 2012 auf 14 GW im Jahr 2022, mit staatlichen Förderprogrammen in Japan (seit 2013), China (ca. 2014), Frankreich (seit 2017), den USA (seit 2018) und zuletzt Korea.

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